Beate Salchinger,
MSc., MSc.
ist Institutsleiterin des Insti-
tuts Physiotherapie an der
FH JOANNEUM in Graz. Sie
ist Mitglied des Präsidiums
von Physio Austria und dort
für den Bereich Studium
zuständig.
Emil Igelsböck, MAS
ist Leiter des Lehr
-
und
Forschungspersonal des
Bachelor
-
Studienganges
Physiotherapie an der FH
Gesundheitsberufe Ober
-
österreich. Seit 2003 ist er
Leiter des fachlichen Netz-
werk Hochschulbildung von
Physio Austria. In der Zeit
von 2006 – 2012 war er
Mitglied der Education Wor
-
king Group des ER-WCPT.
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physio
austria
inform
Dezember 2014
Themenschwerpunkt
Komplementäre Behandlungsmethoden in der Physiotherapie
Das Bachelorstudium Physiotherapie wird in
Österreich an neun Fachhochschulen ange-
boten. Die Ausbildung dauert sechs Semester
und hat einen Umfang von 180 ECTS (die
Abkürzung ECTS steht für European Credit
Transfer System und dient der Vergleichbar-
keit der Studien im internationalen Bereich).
Ein ECTS steht für einen Arbeitsaufwand von
25 Vollstunden. Der §3 Absatz 1 des Fach-
hochschulstudiengesetzes (FHStG) besagt,
dass FH - Studiengänge auf Hochschulniveau
angesiedelt sind und dass diese Studien-
gänge einer wissenschaftlichen fundierten
Berufsausbildung dienen. Die wesentlichen
Ziele sind:
1 die Gewährleistung einer praxisbezoge-
nen Ausbildung auf Hochschulniveau und
2 die Vermittlung der Fähigkeit, die Auf-
gaben des jeweiligen Berufsfeldes dem
Stand der Wissenschaft und den Anforde-
rungen der Praxis entsprechend zu lösen.
Damit die Fachhochschulen dem Ziel der
Vermittlung eines zeitgemäßen und wissen-
schaftlich fundierten Berufsbildes gerecht
werden können, werden unter anderen fol-
gende Maßnahmen in der Grundausbildung
gesetzt: Den Studierenden werden die
Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens
und Handelns vermittelt. Dies beinhaltet das
Formulieren einer wissenschaftlichen Frage-
stellung, das Recherchieren in physiothera-
pierelevanten Datenbanken, das Bewerten
der gefundenen Literatur und das Verfassen
von 2 Bachelorarbeiten.
Im Rahmen der kritischen Bewertung von
Literatur wird näher auf die Evidenzhierarchie
(siehe Abbildung 1) eingegangen.
Verankerung komplementärer
Behandlungsmethoden
im Bachelorstudium
Welche Rolle spielen komplementäre Behandlungsmethoden in der Ausbildung?
© Helmut Wallner
ABB. 1
Evidenzhierarchie
nach David Lawrence Sackett
GRAD KLASSIFIZIERUNG/EVIDENZ
Ia
homogene systematische Übersichtsarbeit/
Metaanalyse von randomisierter kontrollierter Studie (RCT)
Ib
einzelne gut durchgeführte, hochwertige RCT
IIa
hochwertige, gut angelegt kontrollierte Studie ohne Randomisierung
IIb
gut angelegte, quasi experimentelle Studie
III
methodisch gut angelegte nicht experimentelle deskriptive Studie
(Vergleichsstudie, Korrelationsstudie, Fall-Kontrollstudie)
IV
Fallserien, qualitative mindere Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien
V
ExpertInnenmeinungen, klinische Berichte,
Erfahrung von Atoritäten, Konsensusverfahren
Diese Kompetenz im Finden und Verstehen
von Evidenz ist nicht nur in einem Forschungs-
umfeld wichtig. Gerade auch im physiothera-
peutischen Alltag bei der Behandlung von
PatientInnen kann dieses Wissen beziehungs-
weise diese Fertigkeit zum Wohle der PatientIn-
nen im Rahmen des Physiotherapeutischen
Prozesses umgesetzt werden.
Dies bedeutet, dass die Studierenden bereits
in der Grundausbildung aufgefordert werden,
für das Management verschiedener Krankheits-
bilder nach der besten (höchsten) Evidenz zu
suchen. Eine Hilfestellung bei dieser Suche
nach höchster Evidenz sind Guidelines, die von
erfahrenen, international zusammengesetzten
Arbeitsgruppen erstellt wurden.
Federführend bei der Erstellung solcher Guide-
lines ist der Niederländische Verband der
PhysiotherapeutInnen. Auf der Homepage des
niederländischen Verbandes werden 15 Guide-
lines zum Download angeboten, nämlich
von »Akuter Sprunggelenksverletzung« über
»Kardiale Rehabilitation« bis hin zur Guideline
bei »Schleudertrauma«.
Was bedeutet nun dieses Grundprinzip der
evidenzbasierten Physiotherapie für die Ver-
ankerung komplementärer Behandlungsmetho-
den im Bachelorstudium der Physiotherapeutin-
nen und -therapeuten. Bevor diese Frage
beantwortet werden kann, müssen wir uns zu-
erst Klarheit verschaffen, was wir überhaupt
unter dem Begriff »komplementäre Behand-
lungsmethoden« verstehen.
Laut einer Definition des Bundesministeriums
für Gesundheit versteht man darunter
folgendes:
Unter dem Begriff komplementäre Behand-
lungsmethoden wird ein breites Spektrum von
Disziplinen und Behandlungsmethoden zusam-
mengefasst, die auf anderen Modellen der
Entstehung von Krankheiten und deren Be-
handlung basieren als jene der Schulmedizin.
Definitionsgemäß werden sie ergänzend zur
Schulmedizin eingesetzt.
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