In der Traumatologie und Orthopädie wird die Umfangsmes-
sung jedoch auch häufig zur Beurteilung eines möglichen
Kraftdefizites, zum Beispiel nach Kniegelenkstotalendopro-
thesen oder nach Kreuzbandrekonstruktionen verwendet.
Hierbei gehen TherapeutInnen davon aus, dass z.B. ein
verminderter Oberschenkelumfang auf ein Kraftdefizit des
Quadriceps Femoris oder der ischiokuralen Muskulatur
rückschließen lässt. Dieser Rückschluss ist jedoch nicht
zulässig wie Nicolakis et al. in ihrer Studie zeigen konnten.
In dieser konnten sie feststellen, dass die Umfangmessung
mit dem Body Mass Index (BMI) korreliert, jedoch nicht mit
der Kraft des Quadriceps femoris bei Personen nach einer
implantierten Knietotalprothese.
In einem kürzlich veröffentlichten Artikel konnten Worsley
et al. zeigen, dass es mittels einer Ultraschallmessung
möglich ist, eine valide Aussage über die Muskelmasse des
Quadriceps Femoris treffen zu können. Auch in Österreich
findet der diagnostische Ultraschall langsam Einzug in die
physiotherapeutische Praxis. Dies ist ein gutes Beispiel,
wie PhysiotherpeutInnen zukünftig bewährte Technologien
auch für ihre Praxis und als Assessment nutzen können.
Auch wenn die Begriffe der Reliabilität und Validität anfangs
unbedeutend für vorwiegend klinisch arbeitenden Physio-
therpeutInnen erscheinen mögen, so lässt sich anhand
des Beispiels der Umfangmessung sehr gut erkennen,
wie wichtig es ist zu wissen, was ich mit einem Assessment
messen möchte. Messen um des Messens Willen, ist
selten sinnvoll und hilft weder PhysiotherpeutInnen im
Physiotherapeutischen Prozess, noch PatientInnen.
Wie schon eingangs erwähnt, ist die Anzahl von Assess-
ments in verschiedenen physiotherapeutischen Handlungs-
feldern sehr unterschiedlich. Im Bereich der Pädiatrie
liegen derzeit überwiegend englischsprachige Assessments
vor, welche noch nicht für den deutschsprachigen Raum
adaptiert worden sind. Dies stellt in der täglichen physio-
therapeutischen Praxis häufig ein großes Hindernis dar,
da nicht nur TherapeutInnen sondern auch Eltern betroffe-
ner Kinder nur mit Schwierigkeiten zum Beispiel mit
englischsprachigen Fragebögen umgehen können. Des
weiteren gilt es zu berücksichtigen, dass kulturelle Unter-
schiede die Ergebnisse anderssprachiger Assessmentstools
teilweise stark beeinflussen und daher nicht eins zu eins
übernommen werden können. In anderen physiotherapeu-
tischen Bereichen gibt es andererseits eine fast unüber-
schaubare Vielzahl an Assessments wie zum Beispiel bei
der Knierehabilitation. Hier ist es für vorwiegend klinisch
arbeitende PhysiotherpeutInnen wichtig zu wissen, welche
dieser Messwerkzeuge vor allem in der Forschung genutzt
werden und welche besonders bei der praktischen Arbeit
an PatientInnen einen bestmöglichen Nutzen bei einem
möglichst geringen Aufwand für PhysiotherpeutInnen und
PatientInnen haben.
Ein Beispiel hierfür ist die Patient-Specific- Functional-
Scale (kurz PSFS), welche schon 1995 von Paul Stratford
publiziert wurde. Dabei werden vier für den Patienten
symptomatisch Aktivitäten notiert und auf einer Skala
von null bis zehn bewertet. Anhand der Punktesumme ist
ein sehr schneller und aussagekräftiger Wiederbefund
möglich. Der PSFS wurde für eine Vielzahl an muskulo-
skeletalen Problemen der oberen und unteren Extremität,
sowie für Nacken- und LWS-Schmerzen validiert und die
Reliabilität festgestellt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Assessments
in der Physiotherapie schon seit einem langen Zeitraum
Verwendung finden, auch wenn die durchgeführten Mes-
sungen teilweise bisher nicht Assessments bezeichnet
worden sind. Des weiteren ist es für PhysiotherapeutInnen
wichtig zu verstehen, was wird mit dem jeweiligen Assess-
menttool tatsächlich gemessen und wann sind die Messun-
gen gültig (Validität) und zuverlässig (Reliabilität)
Einen tieferen Einblick in das
Thema Assessments können
Interessierte bei dem neuen
Physio Austria Kurs
»Assessmentverfahren am
Bewegungsapparat«
(Vortragende Mag. Meike Klinger,
Mag. Niels Ruso, 25.11.2015)
bekommen.
assessmentverfahren-am-
bewegungsapparat
ASSESSMENTS
Mag. Niels Ruso
LITERATUR
Büschnig G. et al.
Assessments in der Rehabilitation
Band 3: Kardiologie und
Pneumologie. 2009
Nicolakis P. et al. Evaluating
rehabilitation progress by
measuring thigh circumference.
Z Orthop Ihre Grenzgeb 138 (6),
2000, S. 526- 529
Oesch P. et al. Assessments in der
Rehabilitation Band 2: Bewegungs-
apparat 2. Auflage, 2011
Schädler S. et al. Assessments
in der Rehabilitation Band 1:
Neurologie. 2006
Stratford, P. (1995).
»Assessing disability and change
on individual patients: a report
of a patient specific measure.«
Physiotherapy Canada 47(4):
258-263
Worsley P.R. et al Validity of
meassuring Vastus medialis
muscle using rehabilitative ultra-
sound imaging versus magnetic
resonance imaging Manual
Therapy (19) 2014 S. 259-263
physio
austria
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