Die Anwendung von Assessements, d.h. von
standardisierten Messinstrumenten, im physio-
therapeutischen Alltag ist sehr unterschiedlich,
je nachdem in welchem physiotherapeutischen
Aufgabenfeld man tätig ist. In den Bereichen der
Neurologie, Geriatrie, Orthopädie & Traumatologie
sowie der Kardio- & Pulmologie gehören Assess-
ments häufig schon zum physiotherapeutischen
Alltag.
In manchen Bereichen sind Assessments schon
so in den Befund und Wiederbefund integriert,
dass es KollegInnen teilweise gar nicht bewusst
ist, wenn Assessments verwendet werden. Bei-
spiele hierfür sind die Umfangmessung von Gelen-
ken und Muskeln sowie die Goniometrie. Beide
Verfahren sind schon seit Jahren fixer Bestandteil
der physiotherapeutischen Grundausbildung und
werden auch häufig im physiotherapeutischen
Alltag angewandt. Oesch et al. beschreiben in
ihrem Buch »Assessments in der Rehabilitation
Band 2: Bewegungsapparat« Möglichkeiten der
Durchführung der beiden Verfahren, sowie deren
Validität und Reliabilität. Der Hintergrund dieser
beiden Begriffe ist folgender: möchte ich als
PhysiotherapeutIn zum Beispiel eine dieser beiden
Messemethoden verwenden, stellt sich mir
die Frage, was messe ich mit dieser Methode
eigentlich messe und ob diese Ergebnisse auch
aussagekräftig sind?
In der Literatur werden diese Fragen mit den
Begriffen der Validität und Reliabilität beschrieben
und sind Teil der Gütekriterien von Assessments.
Oetsch et al. beschreiben als Synonym für Reliabi-
lität auch Reproduzierbarkeit oder Zuverlässigkeit
eines Assessmentverfahrens. Nehmen wir zur
Verdeutlichung das Beispiel der Goniometrie.
PhysiotherapeutInnen messen misst wiederholt
den Winkel der Kniegelenksflexion bei PatientIn-
nen nach einer Kreuzbandplastik unter gleichen
Bedingungen. Kommen sie beim Test und Retest
zum gleichen Ergebnis, d.h. zum selben Winkel-
ausmaß, spricht man von einer hohen Reliabilität.
Im konkreten Fall spricht man von der Intrates-
ter-Reliabilität, weil die Ergebnisse einer Person
bei mehreren Messungen miteinander verglichen
werden. Ein hohes Maß an Intratester Reliabilität
(Zuverlässigkeit) wäre also dann gegeben, wenn
PhysiotherapeutInnen bei wiederholten Messun-
gen des Kniegelenkswinkels, immer wieder
denselben Winkelgrad messen würden. Im
Gegensatz dazu spricht man von Intertester-
Reliabilität (Zuverlässigkeit), wenn verschiedene
TherapeutInnen den Winkel des Kniegelenks
desselben Patienten messen. Je geringer der
Unterschied der Ergebnisse der TherapeutInnen
ist, desto besser ist die Reliabilität des Assess-
ments, in diesem Fall der Goniometrie.
Wie sieht es nun tatsächlich mit diesen Ergebnis-
sen am Beispiel der Goniometrie aus? Aus
verschiedenen Studien kann man schließen,
dass die Intratester- Reliabilität der Messung von
Gelenkswinkeln mit dem Goniometer wesentlich
besser ist, als die Intertester- Reliabilität. Für die
klinische Praxis bedeutet dies, dass idealerweise
die Messungen mit dem Goniometer immer
von dem/derselben TherapeutIn durchgeführt
werden sollten, da diese genauer sind. Oesch
et al. verweisen in diesem Zusammenhang auch
darauf, dass nur Veränderungen des Bewegungs-
ausmaßes über fünf bis zehn Grad als »echte«
Veränderungen angesehen werden dürfen.
Im Gegensatz zur Reliabilität (Zuverlässigkeit)
gibt die Validität eine Aussage über die Gültigkeit
einer Messung. Konkret heißt dies, misst das
Messinstrument z.B. die Umfangmessung, auch
was sie vorgibt zu messen. In diesem Zusam-
menhang wird deutlich, dass wir Physiothera-
peutInnen uns darüber im Klaren sein müssen,
welche Daten wir im Rahmen des Physiothera-
peutischen Prozesses erheben möchten und
welche nicht. Die Umfangmessung ist nach
Oesch et al. ein valides, das heißt ein gültiges
Assessment, zur Erfassung von Lymphödemen.
Auch zur Verlaufskontrolle & Dokumentation von
Lymphödemen ist die Umfangmessung geeignet.
20
physio
austria
inform
Dezember 2014
Fokus
Qualität
Assessments in der
physiotherapeutischen Praxis
Die Anwendung von Assessements – von standardisierten Messinstrumenten –
gehört oft schon zum physiotherapeutischen Alltag.
Mag. Niels Ruso
ist selbstständiger Physio-
therapeut in eigener Praxis
(Physion) Wien, Magister
der Sportwissenschaften.
Extern Vortragender am
Bachelorstudiengang
Physiotherapie am FH
Campus Wien für die Fächer
Trainingswissenschaften,
Medizinische Trainings-
therapie, Medizinische
Trainingstherapie im
Organsystem und Clinical
Reasoning. Berufliche
Schwerpunkte sind Ortho-
pädie, Traumatologie und
Sportphysiotherapie.
Dzt. stv. Leiter des fachli-
chen Netzwerks ÖVOMT
(Orthopädische Manuelle
Therapie) bei Physio
Austria.
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