Vielfältig einschränkend

Schmerzen bei neuro­muskulären Erkrankungen

von Agnes Wilhelm

Der Volksmund spricht von Muskelkrankheit oder Muskelschwund. Was oft aber tatsächlich gemeint ist, sind neuromuskuläre Erkrankungen – und die können besonders schmerzhaft sein. Wie häufig sind diese Schmerzen? Ein kurzer Überblick für Betroffene.

Der Begriff neuromuskuläre Erkrankungen umfasst viele, meist erblich bedingte Krankheitsbilder mit unterschiedlichen Ursachen und Verläufen. Die Diagnose einer neuromuskulären Erkrankung wird in Europa bei ungefähr einer von 3.500 Personen gestellt. Zum Vergleich: Die Häufigkeit einer Parkinson-Diagnose liegt bei zirka ein bis zwei pro 1.000 Personen. Wir sprechen bei den neuromuskulären Erkrankungen also von sehr seltenen Erkrankungen.

Betroffen sein kann einerseits die Muskulatur selbst. Das ist z. B. bei der Duchenne-Muskeldystrophie der Fall – der häufigsten muskulären Erbkrankheit im Kindesalter. Andererseits kann die Ursache bei den Nerven liegen, die den Muskeln das Signal zum Anspannen und Entspannen geben. Hier gehört die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit dazu. Sie ist die häufigste neurogenetische Erkrankung und betrifft ca. zwei bis drei von 10.000 Personen. Auch eine Degeneration der motorischen Nervenzellen im Rückenmark kann der Grund sein, so wie bei der spinalen Muskelatrophie Typ 1. Sie betrifft zwar nur in etwa eines von 75.000 Neugeborenen, trotzdem zählt sie zu den häufigsten Erbkrankheiten bei Säuglingen.

 

Symptome

So unterschiedlich die Ursachen für die neuromuskulären Erkrankungen auch sind, so haben sie auch einiges gemeinsam. Die Betroffenen leiden meist unter Muskelschwäche, Muskelschwund und einer allgemein niedrigeren Körperspannung. Je nach Erkrankung sind bestimmte Körperregionen mehr oder weniger stark betroffen. Durch die körperlichen Symptome sind die Betroffenen oft ihrem Alltag und ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt. Hier gibt es ein breites Spektrum. Manche Personen verwenden einen Rollstuhl oder Rollator, andere können ohne Hilfsmittel gehen, aber brauchen Unterstützung bei anderen Alltagsaktivitäten.

Neben all den genannten ist der Schmerz ein Symptom, der die Betroffenen in ihrer Lebensqualität besonders einschränkt. Laut einer Umfrage (Tiffreau, V. et al. 2006: Pain and Neuromuscular Disease) bei Personen mit unterschiedlichen neuromuskulären Erkrankungen gaben 73 % der Betroffenen Schmerzen in den letzten drei Wochen an und 62 % sogar chronische Schmerzen.

Die Schmerzursache kann erstens der jeweilige Krankheitsmechanismus sein. Wenn zum Beispiel die Nerven direkt betroffen sind, treten oft Nervenschmerzen auf, aber auch Entzündungen können schmerzhaft sein. Zweitens sind Schmerzen auch wegen des muskulären Ungleichgewichts zwischen starken und schwachen Muskeln spürbar.

Auch Bewegungsmangel oder die übermäßige Anstrengung bei Alltagsaktivitäten können Muskelschmerzen oder sogar Verletzungen in der Muskulatur auslösen.

Wann tut’s weh? Am häufigsten sind Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Allgemein sind die Beschwerden beim Gehen und Stehen am größten. Bei Personen, die nicht mehr gehen können, sind Sitzen und die Transfers, zum Beispiel vom Rollstuhl ins Bett, am schmerzhaftesten. Schmerzen beeinflussen nicht nur, wie sich die Betroffenen körperlich bewegen können, sondern auch ihre Gefühle und das Miteinander mit ihrer Familie und Freunden. Das wirkt sich negativ auf die Lebensfreude aus. Viele Menschen mit einer neuromuskulären Erkrankung leiden also nicht nur unter der körperlichen Einschränkung, die sie aufgrund der Muskelschwäche haben.

Klären Sie akute und neu auftretende Schmerzen immer mit Ihrem behandelnden Arzt ab. Ihr Physiotherapeut bzw. Ihre Physiotherapeutin wird ebenfalls Ihre Schmerzsymptomatik unter Berücksichtigung Ihrer neuromuskulären Erkrankung in die Befundung und Behandlung miteinbeziehen.

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Agnes Wilhelm, MSc

Lehrende Studiengang Physiotherapie IMC FH Krems, Mitglied des Kompetenzteams

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2021|03

Bewegt-Magazin März 2021

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