inform Nr.2 April 2014 - page 14

14
physio
austria
inform
April 2014
Themenschwerpunkt
Gesundheitsförderung und Prävention
Aus der qualitativen Recherche mittels Syllabi und
Befragungen der österreichischen und schwedischen
StudiengangsleiterInnen sieht man, dass in Schweden
die praktische, settingorientierte Umsetzung der Gesund-
heitsförderung in der Ausbildung einen viel höheren
Stellenwert hat als in Österreich. Hier gibt es einige Ba-
chelorlehrgänge, die weder Projekte praktisch umsetzen,
noch Arbeitsplatzanalysen oder Gesundheitsförderungs-
Praktika ermöglichen. An einigen anderen österrei-
chischen Lehrgängen ist diese Praxiserfahrung
zumindest teilweise möglich. In Schweden werden an
allen recherchierten Lehrgängen Projekte umgesetzt und
präsentiert, die Studierenden führen Feldanalysen,
Assessments und präventive Maßnahmen am Arbeits-
platz, Turnstundengestaltung, Gesundheitsförderung im
Setting Gemeinde, etc. durch. Zusätzlich wird in einigen
Lehrgängen die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit
anderen Studiengängen im Unterricht, aber auch in der
Projektumsetzung, gefördert.
Die Gründe, weshalb in Schweden die Anpassung der
Physiotherapie-Curricula an die steigende Relevanz von
Prävention und Gesundheitsförderung weiter fortge-
schritten ist als in Österreich, liegen auf der Hand.
Einerseits trägt dazu die bessere und bereits länger
existierende Integration von Public Health-Strategien
in das nationale schwedische Gesundheitssystem bei,
andererseits erfolgte die Akademisierung der Physio-
therapie-Ausbildung in Schweden rund 20 Jahre früher
als in Österreich. Alle österreichischen Physiotherapie-
AbsolventInnen bis einschließlich 2008 hatten in ihrer
Ausbildung weder über Public Health noch über Gesund-
heitsförderung Inputs bekommen. Lediglich die Ergono-
mie und Arbeitsmedizin wurde in einem geringen Ausmaß
von zehn Stunden als einziges Public Health–relevantes
Unterrichtsfach gelehrt (Schwamberger, 2006). Da auch
nur eine sehr geringe Anzahl dieser PhysiotherapeutIn-
nen den in Österreich seit 2001 angebotenen Public
Health–Lehrgang absolviert hat, ist die geringe Teilnahme
der österreichischen PhysiotherapeutInnen an der Ge-
sundheitsförderung möglicherweise dadurch erklärbar.
PhysiotherapeutInnen, die aktuell ihre Ausbildung an
den österreichischen Bachelorstudiengängen absolvie-
ren, haben laut Curricula fachliche Kompetenzen er-
worben, die es ihnen ermöglichen, in den Settings der
Gesundheitsförderung Fuß zu fassen. Diese fachlichen
Kompetenzen gehen über das Anwenden von Bewe-
gungsinterventionen im präventiven Bereich hinaus.
Gerade Unterrichtsfächer wie »Projektmanagement«,
»Präsentation am modernen Gesundheitsmarkt«, etc.
befähigen PhysiotherapeutInnen zu einem kompetenten
Auftreten am multidisziplinären Markt der Gesundheits-
förderungs-Anbieter. Eine zusätzliche Erweiterung der
praktischen Umsetzung dieser Inhalte im Zuge der Aus-
bildung (Projekt-Anwendung, Praktika, etc.), sowie ein
teilweise multidisziplinärer Ansatz in diesen Unterrichts-
fächern kann die Gesundheitsförderungs-Kompetenz der
österreichischen Physiotherapie-AbsolventInnen sicher
noch weiter steigern.
Dabei muss aber auch bedacht werden, dass neben den
Ausbildungsinhalten auch andere Faktoren für die ge-
ringe Implementierung der Physiotherapie in die öster-
reichische Gesundheitsförderung verantwortlich sein
können. So ist das Gesundheitssystem in Österreich
eher krankenversorgungsorientiert, in Schweden werden
durch die extramurale Versorgung über Primary Health
Care–Organisationen und durch den Direktzugang zu
allen physiotherapeutischen Interventionen präventive,
kurative und rehabilitative Maßnahmen gleichgestellt.
Doch nicht nur Veränderungen in der österreichischen
Gesundheitsversorgung, Verbesserungen von Organisa-
tionsstrukturen und weitere Adaptation der Ausbildung-
scurricula, sondern auch ein aktiveres und selbstbe-
wussteres Auftreten der PhysiotherapeutInnen als Bewe-
gungsspezialistInnen mit der Fähigkeit Prävention, Ge-
sundheitsförderung, Rehabilitation und Kuration optimal
zu vernetzen, können die Physiotherapie zunehmend in
die österreichische Gesundheitsförderung integrieren.
LITERATUR
Bollert, G., Borgetto, B., Geuter,
G., Höppner, H., Hurrelmann,
K. & Porbst, A. (2009).
Bezugswissenschaften der
Physiotherapie: Soziologie und
Gesundheitswissenschaften/
Public Health. physioscience 5(4),
S. 174-183. doi: 10.1055/
s-0028-1109890.
Perreault, K. (2008). Linking
Health Promotion with Physiotherapy
for low back pain: a review.
Journal of Rehabilitation Medicine
(40), S. 401-409. doi: 10.2340/
16501977-0208
Schwamberger. (2006).
MTD-Gesetz: Bundesgesetz
über die Regelung der gehobenen
medizinisch-technischen Dienste.
Wien: Verlag Österreich.
© ag visuell - Fotolia.com
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...32
Powered by FlippingBook