inform Nr.2 April 2014 - page 20

Die physiotherapeutische Betreuung von CF-PatientInnen
ist von vielen Herausforderungen geprägt. Neben der
Inhalationsschulung inklusive Hygieneschulung, um eine
chronische Keimbesiedelung zu verhindern, der Sekret-
mobilisation, der Schulung der PatientInnen, diese auch
selbst durchzuführen, dem Erstellen eines adäquaten
Trainingsprogrammes für Kraft-, Ausdauer- und Atem-
muskeltraining sowie zum Erhalt der Thoraxbeweglich-
keit, ggf. auch der Einschulung für die nötige Langzeit-
sauerstofftherapie, müssen sich die PhysiotherapeutIn-
nen auch mit der psychischen Situation der Betroffenen
und deren Angehörigen in den diversen Lebensabschnit-
ten auseinandersetzen und dürfen die Beeinträchtigung
der Therapie durch Probleme in den anderen betroffenen
Organsystemen nicht übersehen. Viele PatientInnen sind
insulinpflichtige Diabetiker, was vor allem beim Training
bedacht werden muss.
Da diese Erkrankung so vielschichtig und therapieauf-
wendig ist, vergisst man nur zu leicht, dass sich in Folge
der ständigen Hustenbelastung ein zusätzliches Gesund-
heitsproblem ergibt. Viele der erwachsenen CF-PatientIn-
nen sind inkontinent. Die Häufigkeit liegt bei erwachse-
nen Frauen zwischen 30 und 69 Prozent und zwischen
19 und 49 Prozent bei Mädchen (Dodd et. al). Im Ver-
gleich zu anderen respiratorischen Erkrankungen weisen
CF-Patientinnen deutlich höhere Inkontinenzraten auf
(Button et. al., Prasad). Die Ursache scheint in der chro-
nisch intraabdominellen Druckerhöhung durch eine hohe
und intensive Hustenfrequenz in Kombination mit einer
flektierten Körperhaltung zu liegen. Wie sehr ist den Phy-
siotherapeutInnen und dem ärztlichen Personal dieser
Umstand bewusst? Bei einer schriftlichen Befragung im
Rahmen einer Diplomarbeit gaben fast alle PatientInnen
der Erwachsenen-CF-Ambulanz im KH Hietzing, die an
der Erhebung teilnahmen, an, niemals von ärztlicher oder
von physiotherapeutischer Seite in Bezug auf Kontinenz-
probleme befragt worden zu sein oder den Hinweis erhal-
ten zu haben, dass unfreiwilliger Harnverlust stattfinden
könnte. Eine einzige Patientin wurde auf Grund ihres
Alters (> 60a) daraufhin angesprochen. Auffallend aber
wenig überraschend war auch die Tatsache, dass keine
der betroffenen Patientinnen das Thema von sich aus
erwähnt hat. Inkontinenz scheint immer noch ein Tabu-
thema zu sein.
Im Zuge der Befragung wurde auch der Informations-
bedarf erhoben und neben einem Infofolder auch die
Möglichkeit zur kostenlosen Teilnahme an einem Trai-
ningsprogramm geboten. Der Informationsbedarf lag
bei 73 Prozent der weiblichen und 55 Prozent der
männlichen CF-PatientInnen während der Behand-
lungsbedarf deutlich geringer war. Die Beeinträchtigung
durch den Harnverlust scheinen die Betroffenen nicht
so schlimm zu erleben wie andere Auswirkungen der
Erkrankung. Die konsequente Durchführung eines
zusätzlichen Beckenbodentrainings konnte von den
meisten aus verschiedensten Gründen nicht in den
Therapiealltag integriert werden. Die einzig sinnvolle
Lösung scheint die Definition eines neuen Gesund-
heitszieles »Kontinenz für CF-Betroffene« zu sein.
Dafür ist es primär notwendig, eine Sensibilisierung der
behandelnden PhysiotherapeutInnen zu gewährleisten,
damit Kontinenz auch für CF-Betroffene und deren
Eltern bereits in der Kindheit thematisiert wird. Nur
wenn die Zielgruppe »PatientIn« das mögliche Problem
kennt, kann sie souverän handeln und entscheiden, ob
und mit welcher Intensität sie das Gesundheitsziel er-
reichen will. Die Tatsache, dass bereits Siebenjährige
(Nixon et. al.) Harn verlieren und 29 Prozent der Mütter
nicht sicher wussten, ob ihre Töchter Harn verlieren
(Nixon et. al.), unterstreicht nur die Notwendigkeit sich
der Problematik früh anzunehmen. Die fast wütende
Reaktion einer jungen CF-Patientin, nachdem sie den
Fragebogen im Rahmen ihres stationären Aufenthaltes
ausgefüllt hatte, wird mir wohl ewig in Erinnerung blei-
ben. »Was, ihr wisst das, dass wir Harn verlieren?! Und
man kann sogar etwas dagegen tun?! Warum sagt uns
das keiner! Ich hatte letztens mein erstes Rendezvous
mit einem jungen Mann und habe dabei beim Husten
Harn verloren… Es war mir so peinlich!« Für mich
Auftrag genug um dieses Therpieziel zu definieren.
Präventiv zu agieren und in Zuge dessen vielleicht auch
die bisherigen Therapieansätze zu reflektieren und
adaptieren , scheint der einzig gangbare Weg zu sein.
Ein wesentlicher Ansatzpunkt ist die Haltung, um den
Beckenboden vor allem in der Situation des Hustens zu
entlasten. Da die PatientInnen viele Stunden beim Inha-
lieren, bei der Sekretmobilisation aber auch beim Trai-
ning an Geräten oder auf dem Ergometer in sitzender
Position verbringen, sollte auf diese besonderes Augen-
merk gelegt werden. Die Lieblingsposition mancher
beim Inhalieren (vgl. Foto rechte Seite) ) bedeutet für
den Beckenboden beim Husten enormen Stress.
Eine etwas günstigere Position könnte wahrscheinlich
sogar die Effizienz der Therapie erhöhen (vgl. Foto linke
Seite). Fragen, die man sich als TherapeutIn auch stel-
len sollte, könnten lauten: »Muss es der Kraftturm sein
oder wähle ich lieber freie Gewichte?«, »Was spricht
eigentlich gegen ein Krafttraining mit einem Theraband
oder Flexaband?«, »Ist das Sitzfahrrad wirklich das
Richtige für diese/n PatientIn oder ist es nur be-
quem?«, »Könnte Huffen statt Husten nicht auch den
Stress auf den Beckenboden verringern?«, »Wie kann
ich meinem/r PatientIn inspiratorischen Atemhilfsmus-
keleinsatz ermöglichen und dabei möglichst viel Länge
im vorderen Rumpfbereich erhalten?«, usw.
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physio
austria
inform
April 2014
© Eva Müllauer
Themenschwerpunkt
Gesundheitsförderung und Prävention
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