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Dezember 2012
Themenschwerpunkt
Gender
Frau-Sein
in verschiedenen
Religionen und Kulturen
Die Geschichte der Diskriminierung der Frau ist lang und
umfasst alle Länder und Kulturkreise. In den wenigsten
Gesellschaften, so zeigt die eingehende Betrachtung,
ist sie überwunden.
Gender bezeichnet ein von sozialen und kulturellen
Umständen abhängiges Geschlecht und damit eine
soziokulturelle Konstruktion. Diese Unterscheidung soll
helfen, das biologische Geschlecht von der sozialen Rolle
und psychologischen Eigenschaften abzugrenzen. Dieses
Modell wird allerdings auch kritisiert, da es zum Beispiel
nach Judith Butler impliziert, dass Körper und Geist unab-
hängig voneinander, nebeneinander existieren. Diesen
Kartesianischen Dualismus lehnt sie ab. Nach Butler
erscheint nicht nur das soziale Geschlecht als Konstruk-
tion, sondern auch das biologische Geschlecht als hinter-
fragbare Wahrheit oder als eine kulturelle Interpretation
des Körperlichen. Das, was man als Gender leben könne,
sei letztlich abhängig davon, welche körperlichen Mög-
lichkeiten man habe. Und diese körperlichen Möglich-
keiten wiederum würden bereits kulturell interpretiert
und sehen von Epoche zu Epoche anders aus.
In den reichen Ländern des Westens ist Diskriminierung
gewöhnlich eine Sache ungleicher Löhne (im deutsch-
sprachigen Raum beklagen wir eine Einkommensschere
von rund 22 Prozent bei gleichwertiger Arbeitsleistung)
oder unerwünschter Tätscheleien der Vorgesetzten.
In anderen Teilen der Welt ist Diskriminierung hingegen
tödlich. In Indien beispielsweise bringen Mütter wohl ihre
Söhne zum Impfen, aber kaum ihre Töchter. Allein auf
dieses Konto geht ein Fünftel der fehlenden Frauen in
Indien. Anderen Studien zufolge werden Mädchen im
Vergleich zu Jungen nur bei schwereren Erkrankungen
ins Krankenhaus gebracht. Alles in allem liegt die Wahr-
scheinlichkeit, dass Mädchen zwischen dem ersten und
fünften Lebensjahr sterben, in Indien um 50 Prozent
höher als bei gleichaltrigen Jungen. Der günstigsten
Schätzung nach stirbt alle vier Minuten ein kleines
indisches Mädchen an Diskriminierung.
Frauen erbringen weltweit 52 Prozent der Arbeits-
leistungen, erhalten dafür aber nur 10% des Welteinkom-
mens und besitzen nur 1 Prozent des Eigentums. Ein
Schuljahr mehr bedeutet für ein Mädchen 15 Prozent
mehr Einkommen und 10 Prozent weniger Kinder. Einer
Studie zufolge sterben in China jedes Jahr 39.000 neuge-
borene Mädchen, weil ihnen die Eltern nicht die gleiche
Fürsorge und medizinische Betreuung zukommen lassen
wie den Jungen – und das bezieht sich nur auf das erste
Lebensjahr.
LITERATUR
Beauvoir, Simone de (1949,
deutsch 1951) Das andere
Geschlecht, Sitte und Sexus der
Frau. Rowohlt Verlag Hamburg.
Bergmeier, Rolf (2010) Kaiser
Konstantin und die wilden Jahre
des Christentums. Alibri Verlag
Aschaffenburg.
Butler, Judith (1990, deutsch
1991) Das Unbehagen der
Geschlechter. Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main.
Ehrenreich, Barbara (2010) Smile
or Die. Wie die Ideologie des
positiven Denkens die Welt
verdummt. Verlag Antje
Kunstmann München.
Kristof, Nicholas D., WuDunn,
Sheryl (2010) »Die Hälfte des
Himmels«. Wie Frauen weltweit
für eine bessere Zukunft kämp-
fen. C.H. Beck Verlag München.
Mika, Bascha (2012) Die Feigheit
der Frauen: Rollenfallen und
Geiselmentalität. Eine Streit-
schrift wider den Selbstbetrug.
Goldmann Verlag München.
Riemann, Fritz (1961) Grund-
formen der Angst. Ernst Rein-
hardt Verlag Basel/München.
Schmidt-Salomon, Michael
(2009) Jenseits von Gut und
Böse: Warum wir ohne Moral
die besseren Menschen sind.
Pendo Verlag München.
Sturm, Andrea (2012) Eintritt
ins Nirvana – Erleuchtungsmono-
pol des Mannes? Edition Mon-
senstein und Vannerdat Münster.
Von Lüpke, Geseko (2009)
Zukunft entsteht aus Krise.
Riemann Verlag München.
HINWEIS
Andrea Sturm, MAS, PT hält
am 5. April 2013 bei Physio Austria
einen Kurs zum Thema »Ethik,
Diversity und Gender«
WIKIPEDIA
[Zugriff am 26.09.2012]
de.wikipedia.org/wiki/Gender
de.wikipedia.org/wiki/Frauenrechte
Andrea Sturm, MAS
geboren 1973, Physiotherapeutin,
Autorin und interreligiöse Theolo-
gin, eigene Praxis in Hallein, beruf-
licher Schwerpunkt: Neurologie und
Pädiatrie. Vortragende und Lektorin
FH Campus Wien: Ethik, Gender
& Diversity Management.
Bücher: »Shifting baselines –
Liebeserklärung an den Wahnsinn«.
Münster 2008; »Eintritt ins
Nirvana – Erleuchtungsmonopol
des Mannes?«, Münster 2012.
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