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Dezember 2012
Themenschwerpunkt
Gender
PHYSIO AUSTRIA
Sie sind seit 2010 Universitätsprofessorin für
Gendermedizin an der Med. Universität Wien, die erste in
Österreich. Wie muss man sich die Zielsetzung vorstellen?
UNIV.-PROF. DR. ALEXANDRA KAUTZKY-WILLER
Wir versuchen, mit allen
anderen Fachrichtungen Kooperationen aufzubauen, um Gender-
medizin in allen Bereichen besser zu beleuchten. Das Problem der
Gendermedizin ist, dass es eine Querschnittsmaterie ist, daher
braucht man viele ExpertInnen in den jeweiligen Gebieten, die
das bisher unterbeleuchtete Gebiet der geschlechtsspezifischen
Unterschiede erforschen. Aber es geht nicht nur um Unterschiede,
sondern auch um Gemeinsamkeiten. Das Ziel ist immer, die
möglichst beste Versorgung der PatientInnen, von der Diagnose
über die Behandlung bis zur Rehabilitation.
Wie kann es sein, dass geschlechtsspezifische Unterschiede
in der Medizin so lange ignoriert wurden? Wo war der Punkt,
wo klar war, dass das ein Thema ist?
Man muss das aus der Tradition heraus betrachten. Die Frauenrolle
war in der Geschichte eine, die sich nicht im öffentlichen Raum
abgespielt hat. Man muss festhalten, dass Frauen bis 1900 ja nicht
einmal studieren durften. Das ganze Weltbild war am Mann orien-
tiert. Auch in der Medizin war der Prototyp männlich. Die meisten
Untersuchungen sind daher an Männern gemacht worden und
zwar auch nur an einem bestimmten Typ Mann: Ein Mann mittleren
Alters, weiß, mit 70 Kilo. Dann hat man die Frau als kleinen Mann
betrachtet und gedacht, dass es wohl keine Unterschiede gibt.
Das hat sich als Fehler erwiesen. Der große Aufhänger für die
Gendermedizin kam dann aus der Kardiologie mit einer Studie,
dass Frauen sich bei einem Herzinfarkt mit Symptomen wie jene
von Männern präsentieren müssen, um die Chancen zu vergrö-
ßern, richtig diagnostiziert und behandelt zu werden. Das war
natürlich sehr plakativ, weil es um Leben und Tod geht und es hat
viel ins Rollen gebracht.
Das falsche Geschlecht zu haben kann also mitunter tödlich sein?
Ja, genau. Das ist schon länger bekannt und die Situation hat sich
stark gebessert. Trotzdem passiert es immer noch, dass Frauen
mit Herzbeschwerden zu wenig invasiv behandelt werden. Es gibt
sogar Daten, dass Frauen mitunter sogar billigere Stents implan-
tiert bekommen oder die billigeren Medikamente verschrieben
bekommen. Es ist seltsam, dass sich so etwas hält. Natürlich
würde ein Arzt, den man fragt, ob er eine Frau schlechter behan-
delt, niemals sagen, dass er das tut. Offenbar läuft so etwas unbe-
wusst bzw. gibt es hier Faktoren, die bisher nicht aufgedeckt sind.
Aber langsam setzen sich die Erkenntnisse der Gendermedizin in
allen Fachbereichen durch. Allerdings werden auch heute noch
Medikamente viel intensiver an Männern getestet als an Frauen.
Warum?
Weil man in den Studien Angst hat, dass Frauen im gebärfähigen
Alter schwanger sein könnten oder werden, was auch verständlich
ist – Stichwort Contergan. Schäden an Ungeborenen will natürlich
niemand. Aber man muss natürlich festhalten, dass Studien an
Schwangeren nötig sind. Zwei von drei Frauen nehmen im Laufe
der Schwangerschaft Medikamente, die unbedingt notwendig sind.
Lieber zweimal
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© Helmut Wallner
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