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physio
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Dezember 2012
Themenschwerpunkt
Gender
»Haben wir keine anderen Probleme in der Palliative Care
in Südafrika als uns mit Genderthemen auseinanderzu-
setzen?« Diese Frage stellte Sue Cameron am 11. Pallia-
tive-Care-Kongress 2009 in Wien als Einleitungssatz
ihres Referats (1) in den Raum. In der Folge überzeugte
sie das Auditorium davon, dass Genderbelange gerade in
Zusammenhang mit HIV/Aids hohe Relevanz haben, um
die betroffenen PatientInnen und deren Familien verste-
hen und adäquat unterstützen zu können.
Im Zuge ihres Projekts stellte sich heraus, dass Männer
seltener zugeben, an HIV/Aids erkrankt zu sein und oft
ihre ebenfalls erkrankten Ehefrauen zum Arzt um Medika-
mente schicken, die sie dann statt der Frauen einneh-
men. Viele Mädchen müssen die Schule verlassen, um zu
Hause erkrankte Angehörige zu pflegen beziehungsweise
um zum Lebensunterhalt beizutragen. Dadurch wird den
jungen Mädchen nicht nur ihr Recht auf Bildung genom-
men, sondern auch ihre Anfälligkeit für HIV-Infektionen
erhöht, da das Familieneinkommen oftmals über Prostitu-
tion aufgebessert wird. Im Rahmen des Projekts wurden
Gender Guidelines entwickelt, um auf HPCA-Ebene (Hos-
pice Palliative Care Association of South Africa) und auf
lokaler Hospizebene für das Thema zu sensibilisieren.
Abgesehen von dem Bereich HIV/Aids werden Gender-
belange in der Literatur vor allem im Bereich der Geriatrie
diskutiert. Die IFF-Abteilung Palliative Care und Organisa-
tionsethik der Alpen-Adria Universität betreibt intensive
Forschung in diese Richtung (2). Ein Ergebnis ist das
Buch »Geschlechtersensible Hospiz- und Palliativkultur in
der Altenhilfe« von Elisabeth Reitinger und Sigrid Breyer
(Hgg.). Weitere Forschungsprojekte können unter dem im
Literaturverzeichnis angegebenen Link nachgelesen wer-
den.
Im Bereich der Gendermedizin finden sich nur wenige
Arbeiten, die sich mit dem Thema Palliative Care und an-
grenzenden Bereichen auseinandersetzen. Zwei Arbeiten
aus den letzten beiden Jahren seien exemplarisch ge-
nannt: »Gender Difference in Quality of Life among Brain
Tumor Survivors« (3) und »Gender Differences in Psycho-
social Responses to Lung Cancer« (4).
Die Literatur im Bereich Diversity in Palliative Care ist
ebenfalls nicht umfangreich. Während unter dem Begriff
Gender im Oxford Textbook of Palliative Medicine (5)
lediglich darauf hingewiesen wird, dass Ärztinnen, die in
der Palliativmedizin arbeiten, eine signifikant höhere
Wahrscheinlichkeit haben, an einer psychiatrischen
Erkrankung zu leiden als ihre männlichen Kollegen, gibt
es im Bereich Diversity zumindest bei Spiritualität und
Trauer ausreichende Information.
Dr. Henke und Dr. Thuss-Patience (6) haben sich mit der
Frage der Hospiz- und Palliativversorgung von PatientIn-
nen mit Migrationshintergrund in Deutschland auseinan-
dergesetzt und einige wichtige Problemfelder identifiziert,
die sich auch auf Österreich umlegen lassen. Beschrie-
ben werden drei Phänomene: Kommunikationsbarrieren,
ein erschwerter Zugang zur Hospiz- und Palliativversor-
gung (HPC) und mangelnde interkulturelle Kompetenz.
Die Studien, auf die sich die Autoren berufen, sind durch-
wegs aktuell – sie stammen aus den Jahren 2007 bis
2012 – und enthalten auch Lösungsansätze wie zum
Beispiel mehrsprachige Informationsbroschüren zur HPC.
Wie erleben PhysiotherapeutInnen geschlechterspezifi-
sche Unterschiede bei ihren PalliativpatientInnen und
welche Herausforderungen ergeben sich aus unter-
schiedlichem sozialem und/oder kulturellem Hinter-
grund?
Dafür wurde ein Kurzfragebogen an KollegInnen, die bei
Physio Austria den Palliative-Care-Basiskurs absolviert
haben, versandt. Gefragt wurde, ob sich die männlichen
beziehungsweise weiblichen PalliativpatientInnen unter-
schiedlich in Bezug auf Angst, Schmerz und Kommunika-
tion verhalten. Als Antwortmöglichkeiten standen JA,
NEIN, Kann ich nicht sagen zur Verfügung. Wurde JA als
Antwortmöglichkeit gewählt, gab es noch eine Ergän-
zungsfrage – Worin besteht der Unterschied? Zehn Kolle-
gInnen haben einen ausgefüllten Fragebogen retourniert.
Die Auswertung ergab folgendes Bild:
TABELLE 1
Angst
Die Frage nach dem Unterschied wurde
folgendermaßen beantwortet (exemplarisch):
Ich empfinde Frauen durchwegs als ängstlicher,
besorgter, dass etwas passieren könnte.
Frauen sprechen Ängste öfter aus,
wollen auch eher den Austausch mit
Psychologen annehmen.
Männer äußern sich klarer, aber nicht
zu diesem Thema …
Gender und Diversity –
ein Thema in Palliative Care?
Sollten Frauen und Männer in der Palliative Care unterschiedlich behandelt
werden? Wie sehr sollte auf kulturelle und soziale Hintergründe geachtet
werden? Die Gender- und Diversity-Diskussion lässt keinen Zweifel an der
Notwendigkeit einer differenzierten Sicht- und Behandlungsweise – auch
persönliche Einzelerfahrungen sprechen dafür.
JA NEIN
Kann ich nicht sagen
ANGST
6
3
1
SCHMERZ
5
5
KOMMUNIKATION
5
3
2
1...,12,13,14,15,16,17,18,19,20,21 23,24,25,26,27,28,29,30,31,...32