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Dezember 2012
Themenschwerpunkt
Gender
keine Kontrolle zu haben scheint, macht oft Angst.
Angst gehört unvermeidlich zu unserem Leben. In
immer neuen Abwandlungen begleitet sie uns von der
Geburt bis zum Tod. Die Geschichte der Menschheit
lässt immer neue Versuche erkennen, Angst zu bewäl-
tigen, zu vermindern, zu überwinden oder zu binden.
Magie, Religion und Wissenschaft haben sich darum
bemüht. Geborgenheit in Gott, hingebende Liebe,
Erforschung der Naturgesetze oder weltentsagende
Askese und philosophische Erkenntnisse heben zwar
die Angst nicht auf, können aber helfen, sie zu ertra-
gen und sie vielleicht für unsere eigene Entwicklung
fruchtbar zu machen. Wir haben die Neigung, ihr aus-
zuweichen, sie zu vermeiden, und mancherlei Techni-
ken und Methoden entwickelt, sie zu verdrängen, sie
zu betäuben oder zu überspielen und zu leugnen.
Aber wie der Tod nicht aufhört zu existieren, wenn wir
nicht an ihn denken, so auch nicht die Angst.
Gerade dieses den Naturkräften Ausgeliefert-Sein der
Frauen machte Angst, die bedrohliche Nähe zum
allgegenwärtigen Tod und den damit verbundenen
Schmerzen und Leiden, ob nun durch die Schwanger-
schaft, die Geburt selbst oder den Tod des Kindes
machten die Existenz einer Frau für Männer nicht un-
bedingt erstrebenswert. Auch hier kann man davon
ausgehen, dass die eigenen Ängste hinsichtlich Tod,
Leiden und Schmerzen auf die »niedere« Existenz einer
Frau projiziert wurden, um sie bei sich selbst zu ver-
drängen und zu vermeiden und im Außen beherrsch-
bar zu machen.
Von den Ländern dieser Welt, in denen Frauen nieder-
gehalten und systematisch üblen Barbareien wie
Ehrenmorden oder genitaler Beschneidung unter-
worfen werden, sind die allermeisten überwiegend
islamisch geprägt. Im Wertmaßstab betrachtet lehnen
zwar die meisten Moslems solche Praktiken ab,
während es manche Christen gibt, die sie gutheißen,
aber Tatsache ist und bleibt, dass die Länder, in denen
Mädchen beschnitten, der Ehre wegen umgebracht
oder am Schulbesuch oder an der Berufsausübung
gehindert werden, in der Regel einen dominanten
muslimischen Bevölkerungsanteil haben.
Ist der Islam frauenfeindlich? Eine mögliche Antwort
wäre die des Historikers und sie müsste Nein lauten.
Als Mohammed im 7. Jahrhundert den Islam verkün-
dete, stellte diese neue Religion für Frauen einen Fort-
schritt dar. Das islamische Recht untersagte die bis
dahin verbreitete Praxis der Tötung weiblicher Säug-
linge und beschränkte Polygamie auf vier Frauen, die
gleich behandelt werden sollten. Islamische Frauen
durften ohne Weiteres Vermögenswerte besitzen und
genossen dabei den Schutz des Gesetzes, während
ihre Zeitgenossinnen in den europäischen Ländern oft
nicht das Recht auf eigenen Besitz hatten. Im Ganzen
gesehen pflegte Mohammed, nach dem Koran und
den daraus abgeleiteten Traditionen zu urteilen, offen-
sichtlich einen respektvolleren Umgang mit Frauen als
etwa die Führer des frühen Christentums. Denken wir
daran, dass der Apostel Paulus den Frauen im Gottes-
dienst den Mund verbot und dass Tertullian, einer der
führenden Köpfe des frühen Christentums, erklärte,
die Frau sei »die Eingangspforte zum Teufel«.
Das Christentum hat solche Einstellungen im Verlauf
der Jahrhunderte größtenteils hinter sich gelassen.
Durch die Französische Revolution und die Aufklärung
wurden Macht und Bedeutung von Kirche und Adel
zurückgedrängt, Bürgerrechte verankert und der
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