Eva Müllauer
ist seit 1983 als Physio-
therapeutin in verschiedenen
Fachbereichen tätig. Derzeit
ist sie interimistische Fach-
bereichsleitung MTDG an der
Abteilung für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und
Behindertenpsychiatrie für
Erwachsene des Neurologi-
schen Zentrums Rosenhügel.
Sie ist als Lehrbeauftrage an
der FH Campus Wien und FH
Salzburg tätig. Sie leitet das
fachliche Netzwerk Palliative
Care und Hospizwesen von
Physio Austria.
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physio
austria
inform
Februar 2015
Der Puzzlestein
in einem komplexen
Gefüge
Ungefähr ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen leiden
zumindest einmal an psychischen Beschwerden, deren
Ursachen mannigfaltig sind. Die Diagnostik und Therapie
erfolgen im interdisziplinären Team unter Berücksichti-
gung der speziellen sozialen Situation und inkludieren
die Vernetzung mit extramuralen Strukturen wie Bezugs-
personen, Wohngemeinschaft, Krisenzentrum oder
Schule bzw. Kindergarten. Die Physiotherapie ist ein
Puzzlestein in einem komplexen Gefüge rund um
unmündige PatientInnen.
Kinder und Jugendliche, die im ambulanten und stationä-
ren Setting, auf einer Abteilung für Kinder- und Jugend-
psychiatrie diagnostiziert und behandelt werden, weisen
häufig eine der folgenden Indikationen auf: Angststörun-
gen, Depression, Posttraumatische Belastungsstörung,
Autismus, Schizophrenie, Essstörungen, Suchterkrankun-
gen, Belastungsreaktionen, Suizidalität, selbstverletzen-
des Verhalten, Persönlichkeitsentwicklungsstörungen,
Zwangsstörungen, bipolare Störungen, Enuresis/Enko-
presis, etc. Das Physiotherapieteam der Abteilung für
Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) im Krankenhaus
Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel
beschreibt seine Ziele auf der offiziellen Homepage
wie folgt: »Ziele der Physiotherapie in der KJP sind die
Verbesserung der Körperwahrnehmung und des Körper-
gefühls, die Entwicklung von Raum-, Rhythmus- und
Zeitgefühl, das Üben der Beziehungsaufnahme zu
Mitmenschen, das Sich-Erleben in der Beziehung zu
Mitmenschen in vielfältigen Bereichen, der (sic) Wieder-
gewinnen von Spaß und Freude an Bewegungen und
eigener Aktivität, das Wahrnehmen von eigenen Be-
dürfnissen, Wünschen und Bewegungsimpulsen, die
Behandlung von Schmerzzuständen und Bewegungsein-
schränkungen, die Verbesserung der Selbsteinschätzung,
das Wiederentdecken bekannter Ressourcen und das
Entdecken neuer Fähigkeiten.«
Schmerzzustände und Bewegungseinschränkungen
sowie Probleme mit Einnässen und Einkoten können
sowohl psychische als auch organische Ursachen haben.
Aufgabe der Physiotherapie ist es daher bereits in der
Untersuchung den Fokus darauf zu legen, die Physis
nicht zu vernachlässigen. Veränderungen im Haltungs-
und Bewegungsapparat wie z.B. eine Skoliose, eine
Schwäche der Haltemuskulatur bei den jugendlichen
»couch potatoes«, Überlastung von Strukturen durch
Übergewicht oder verletzte und veränderte Strukturen
im Beckenbodenbereich nach Missbrauch oder der Aus-
weitung des Darmes durch Kotsteine, bedürfen einer Ab-
klärung und anderer physiotherapeutischer Maßnahmen
als bei rein psychischer Problematik. Diese »doppelte
Herausforderung« ist typisch für die Physiotherapie und
einige andere Mitglieder des interdisziplinären Teams
(Ergotherapie, Logopädie, Pflege, ÄrztInnen, die dann
an andere FachärztInnen überweisen) und unterscheidet
sie von den Teammitgliedern, die ihren Fokus und ihre
Aufgabe eher nur im psychischen oder sozialen Bereich
sehen.
Um interdisziplinäres Arbeiten möglich zu machen,
bedarf es geeigneter Kommunikationsstrukturen und
der Bereitschaft, die Fachkompetenz der einzelnen
Berufsgruppen im Team zu kennen und anzuerkennen.
Reibungsloses Kommunizieren und Agieren kann dann
erfolgen, wenn klare Strukturen vorgegeben sind und der
Stellenwert der Beteiligten gleich hoch ist. Wöchentliche
Sitzvisiten in einem ausreichend großen Besprechungs-
raum bieten einen geeigneten Rahmen dafür. Aus Sicht
der ÄrztInnen, Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie,
Logopädie, Musiktherapie, Kunsttherapie, Pädagogik,
Schule, Sozialarbeit und Psychologie wird das Kind oder
der/die Jugendliche vorgestellt, Gemeinsamkeiten gefun-
den, mögliche Ursachen für ein bestimmtes Verhalten
herausgefiltert, gemeinsame, übergeordnete Therapie-
ziele formuliert und Maßnahmen festgelegt.
Themenschwerpunkt
Physiotherapie und Interdisziplinarität
Physiotherapie und Interdisziplinarität im
Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie –
Kommunikation und Zusammenarbeit im
intra- und extramuralen Bereich.
LITERATUR
Physiotherapie
in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
(KJP) sowie in der
Erwachsenen-
Behindertenpsychiatrie;
online:
Steinhausen H.- Ch.
(Hrsg.) Psychische
Störungen bei Kindern
und Jugendlichen:
Lehrbuch der
Kinder- und Jugend-
psychiatrie und
–psychotherapie.
Gebundene Ausgabe –
12. Juli 2010,
Elsevier Verlag
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