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September 2012
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September 2012
Themenschwerpunkt
Kinderphysiotherapie
Die Therapie mit Hilfe des Pferdes ist keine Entdeckung
unserer Zeit – seit Jahrhunderten weiß man von der
heilsamen Wirkung des Pferdes auf den Menschen.
Bereits Galen (römischer Arzt, 130–199) definierte in
seinem Buch »Gymnastik im Gebiet der Gesundheits-
pflege« Gymnastik mit dem Pferd als dem Arzt vorbe-
halten und als Kunst, was ihre Heilsamkeit betrifft.
Er behandelte durch zielgerichtete Rumpf- und Atem-
übungen Brustkorbdeformitäten. Auch heute wird die
Hippotherapie vom Arzt verordnet und von einer Physio-
therapeutin/einem Physiotherapeuten mit Zusatzausbil-
dung durchgeführt. Vor allem bei Kindern ist sie eine
gerne angewandte Therapieform.
Die moderne Technik ermöglichte differenzierte Messun-
gen der Bewegungen des Pferdes und ihre Wirkung auf
den Menschen. Die physikalischen Wirkungsfaktoren
der Hippotherapie sind also:
1 Die dreidimensionalen Schwingungsimpulse
Frontalebene:
Rotation des Pferdebrustkorbs –
Lateralflexion in der LWS des Reitenden.
Sagitalebene:
Vorwärtsbewegung des Pferdes –
Flexion-Extension der WS und der Hüftgelenke.
Transversalebene:
Seitbewegungen des Pferdes –
Rotationsbewegungen im unteren Drehniveau
Brustkorb/LWS und in den Hüftgelenken.
2 Beschleunigungskräfte
Der auf dem Pferderücken sitzende Mensch wird
durch die Fortbewegung im Raum zwingend
mitgenommen.
3 Zentrifugalkräfte
werden besonders in Kurven wirksam.
Vom Pferd werden 90 bis 110 Schwingungen pro Minute
übertragen – stets jedoch mit kleinen Variationen, da der
Boden nie ganz eben ist und auch die Beine des Pferdes
nicht millimetergenau gesetzt werden. Durch diesen
rhythmischen Bewegungsdialog zwischen Pferd und ReiterIn
kommt es zu einer Wirkung auf:
1 Motorik
Jeder Lernprozess basiert auf bereits gemachten
Erfahrungen. Diese werden mit den neuen verglichen
und adaptiert. Das Pferd erfordert Variabilität, Koordi-
nation und Reaktion. Rezeptorprobleme im propriozep-
tiven, vestibulären oder taktilen Bereich können mit
Hilfe des Pferdes Antworten erwarten.
Im Verlauf der Therapie kommt es zu einer Regulierung
des Muskeltonus, einer Verbesserung der Haltung
durch dynamische Stabilisierung der WS, zur positiven
Beeinflussung der Symmetrie der Haltung, der Kopf-
kontrolle, der Atmung und der Mundmotorik (Sprache).
Das Pferd bietet ein gangtypisches Bewegungsangebot
für das Becken, die Hüften und die WS, es kommt zur
Mobilisation von Gelenken und zur Verbesserung der
Koordination.
2 Sensorik
Das Pferd bietet Wärme und macht ein Angebot an
das Körperschema, die Oberflächen- und Tiefen-
sensibilität, die Raumorientierung sowie an die Sinne
Hören, Sehen und Riechen.
3 Psyche
Je größer die Motivation, die Aufmerksamkeitsspanne
und die Freude, desto besser gelingt der Lernprozess
und die Speicherung über das Belohnungssystem
(Hippocampus). Bereits bei der Begrüßung entsteht
eine Beziehung zwischen Pferd und ReiterIn. Im
Folgenden kann es zu einer Regulierung des Selbst-
wertgefühls kommen, emotionale Komponenten
werden eingebracht, die Konzentration kann gesteigert
werden.
Ein Pferd begegnet einem Menschen immer
artgerecht, nie wertend!
Hippotherapie –
die Physiotherapie
mit Hilfe des Pferdes
Ein interdisziplinäres Therapiekonzept aus den vierziger Jahren wird beständig
weiterentwickelt: Einen großen Stellenwert nimmt dabei die ganzheitliche
Sichtweise ein, unterstützt natürlich von den neurophysiologischen Grundlagen,
Anwendung findet das Konzept vor allem in der Therapie mit Kindern.
Elke Molnar-Mignon, PT
arbeitet als freiberufliche
Physiotherapeutin mit Schwer-
punkt Hippotherapie. Nach
dem Diplom in Innsbruck
widmete sie sich 1981 der
Hippotherapie, seit 1985 war
sie auch in der Ausbildung
für HippotherapeutInnen tätig.
Seit 1995 leitet sie die
Ausbildung der Hippothera-
peutInnen in Österreich.
Foto: Christine Neugebauer
HIPPOTHERAPIE
Elke Molnar-Mignon, PT
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