physio
austria
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September 2012
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September 2012
Themenschwerpunkt
Kinderphysiotherapie
Fotos: Marlies Klingenberger
5 Handling
Handling bedeutet die Anleitung der Eltern, wie sie ihr
Kind in den Alltagssituationen dahingehend unterstützen
können, dass dem Kind die Aktivität leichter fällt, es sinn-
hafte Alternativen zu stereotypen Strategien oder neuen
Ideen findet und dabei trotzdem die größtmögliche Eigen-
kompetenz bewahrt. Es wird auf ein vertrauensvolles, lust-
volles Miteinander geachtet. Dem Kind wird so Sicherheit
gegeben und es wird ermutigt, die Welt mitzugestalten.
»Kann ein Kind trotz erschwerter Entwicklung sein emotio-
nales Wohlbefinden und damit seine Offenheit zur Welt
und seine Autonomie bewahren, so kann es sein Entwick-
lungspotential optimal ausschöpfen. Die Würdigung der
Eltern und die Unterstützung ihrer Kompetenz und Auto-
nomie in der therapeutischen Arbeit ist für dieses Ziel von
hoher Bedeutung.« (s. Orth, in: Biewald, 2004, S. 38)
Wie stellt sich das Bobath-Konzept heute dar?
1 Neurophysiologische Grundlage
Das Hemmen pathologischer Reflexe und Bewegungs-
muster – dieser Gedanke hat ausgedient. Sowohl die
Wissenschaften wie auch die Empirie haben uns das ge-
lehrt. Die Theorie, die heute hinter dem Bobath-Konzept
steckt, ist die Theorie des motorischen Lernens. Einige
Aspekte des motorischen Lernens, die die Basis der
Arbeit im Bobath-Konzept bilden, werden im Folgenden
kurz aufgezeigt.
1.1 Aufmerksamkeit
»… ohne Aufmerksamkeit wird wenig gelernt,
ohne Lernen gibt es nicht viel Veränderung, ohne
Veränderung findet keine Entwicklung statt.«
(s. Mulder, 2007, S. 115) Wulf (2011) unterstreicht
die Wichtigkeit der Aufmerksamkeit auf das Bewe-
gungsziel und weniger auf die Bewegungsqualität.
1.2 Repetition
Das Sprichwort »Übung macht den Meister« ist
altbekannt und wird in der Literatur immer wieder
bestätigt (vgl. Schmidt, 2005).
1.3 Selbstintendiertes, funktionelles Handeln
Bewegung wird am besten gelernt, wenn sie von
den Betroffenen selbst intendiert wird (vgl. Andres
et al., 2003). Das Training muss in den Alltag inte-
griert werden. Wir dürfen nicht davon ausgehen,
dass Aktivitäten, in einer künstlichen Situation
geübt, automatisch in den Alltag übernommen
werden können (vgl. Shumway-Cook, 2001).
1.4 Motivation
Motorisches Lernen braucht die Motivation zur
Bewegung. Motivation ist gegeben, wenn die
Bewegung für die Betroffenen einen Sinn ergeben
(vgl. Schmidt, 2005).
2 Ganzheitliche Sichtweise
Diesen ganzheitlichen Ansatz finden wir heute auch wie-
der in der Struktur der ICF, verabschiedet von der WHO
2001. Das Kind wird demnach nicht auf seine Probleme
reduziert, es wird als eigenständige Persönlichkeit gese-
hen, eingebettet in sein soziales Umfeld und mit Kontext-
faktoren, die hemmend oder förderlich für das Kind sein
können. Die Aktivität/Partizipation spielt in der Behand-
lung nach dem Bobath-Konzept von Beginn an eine
wichtige Rolle, wobei gleichzeitig Körperstruktur und
Körperfunktionen nicht vernachlässigt werden.
3 Therapeutische Maßnahmen
Die therapeutischen Maßnahmen, die uns im Bobath-
Konzept zur Verfügung stehen, sind die Fazilitation
und die Umfeldgestaltung.
3.1 Fazilitation
Fazilitation – unser Handwerkszeug in der Therapie –
bedeutet nichts anderes als Erleichterung von Spont-
anhaltung und Bewegung, Unterstützung sensomoto-
rischer Lernprozesse. Durch bestimmte Techniken
wie z. B. Zug, Druck, Vibration, Bewegungsführung
etc. nehmen wir Einfluss auf die Haltungskontrolle,
dem Kind wird Haltung und Bewegung erleichtert
und somit erhöht sich die Handlungskompetenz des
Kindes. Je nach Bedürfnis des Kindes werden diese
Maßnahmen in liegender, sitzender oder stehender
Position durchgeführt – das Kind erfährt somit dyna-
mische Haltung und kann diese z. B. für Manipula-
tion oder visuelles Erkunden der Umgebung nützen.
Durch diese Maßnahmen erhält das Kind auch Unter-
stützung bei Transfers oder bei der Fortbewegung.
Gefordert werden variationsreiche Wiederholungen.
Verständnis der Pathomechanismen zentraler Stö-
rungen und Kenntnisse der Biomechanik sind dazu
unerlässlich.
3.2 Umfeldgestaltung
Die dingliche Umwelt wie z. B. Matratzen, Treppen,
Spielzeug, Stühle etc. kommen zum Einsatz, um
die Handlungen des Kindes zu unterstützen und die
Bewegungen variantenreich zu gestalten. Ebenso
kann die Beschaffenheit der Unterlage verändert
werden. Das Kind entwickelt unterschiedliche
Strategien, wenn es sich z. B. robbend am Boden
fortbewegt und dies auf einem Teppich oder auf
einer Matte oder auf dem Fliesenboden absolviert.
4 Durchführung der Behandlung
Im Bobath-Konzept gehen kontinuierliches Befunden und
die Therapiemaßnahmen Hand in Hand. Durch genaues
Beobachten erkennen wir, was das Kind kann und wo
seine Probleme liegen. Voraussetzungen für eine erfolg-
reiche Behandlung sind die gegenseitige Achtung aller
beteiligten Personen – Eltern, Therapeut, Kind –, dialogi-
sches Vorgehen und eine positive Grundstimmung, die
das Lernen erleichtert (vgl. Spitzer, 2007). Die Therapie-
ziele orientieren sich an den Bedürfnissen der Kinder und
deren Eltern. Bewegungsintentionen des Kindes werden
aufgegriffen, unterstützt oder überhaupt erst möglich ge-
macht. Hilfestellung wird angeboten, soweit es unbedingt
nötig ist, um die Eigenaktivität des Kindes zu fördern.
Die Therapie findet in alltagsrelevanten Situationen statt.
Für das Kind bedeutet Alltag Spiel. So wird das Spiel
genützt, um Handlungen lustvoll zu gestalten und varian-
tenreich zu wiederholen solange das Kind daran Spaß
findet.
BOBATH
Marlies Klingesberger, MSc, PT
Die Sonderausbildung Kinder-Bobath in Österreich
AUSBILDUNGSSTRUKTUR
Die Kinder-Bobath-Ausbildung in Österreich ist als Sonderausbildung
nach dem MTD-Gesetz geregelt. Die Ausbildung schließt mit einer
kommissionellen Abschlussprüfung unter Aufsicht der Landes-
sanitätsbehörde ab. Durch diese Form ist sie im Vergleich zu
anderen europäischen Ländern umfangreicher und bietet neben
den konzeptspezifischen Inhalten eine umfassende Grundausbildung
für die therapeutische Arbeit in der Entwicklungsneurologie.
Die Vorgaben der EBTA (European Bobath Tutor Organisation,
werden erfüllt, und somit ist der Kurs in allen
EBTA-Mitgliedstaaten anerkannt.Die Ausbildung wird in Blockveran-
staltungen abgehalten, der Abschluss erfolgt innerhalb eines
Kalenderjahres. Sie umfasst 400 Unterrichtseinheiten, die sich aus
Vorlesungen, praxisbezogenen Seminaren und Praxisanleitung an
PatientInnen in Kleingruppen zusammensetzen. Großer Wert wird
darauf gelegt, dass die Unterrichtenden aus der Praxis kommen.
Zwischen den Kursblöcken ist ein Praktikum von 160 Stunden zu
absolvieren. Es handelt sich um supervidiertes Arbeiten (behandeln,
besprechen von PatientInnen) mit einer in diesem Konzept erfahre-
nen Kollegin und kann im eigenen Arbeitsbereich durchgeführt
werden.
Voraussetzungen für die Kursteilnahme sind:
°
eine abgeschlossene Ausbildung in Physiotherapie,
Ergotherapie oder Logopädie und mindestens 2 Jahre
Berufserfahrung, wenn möglich im Bereich Pädiatrie
oder
°
ein abgeschlossenes Medizinstudium
KURSE IN ÖSTERREICH
In Österreich gibt es derzeit zwei Kurszentren. Die nächste
Ausbildung wird in Linz angeboten.
°
Leonding bei Linz, Caritas für Menschen mit Behinderung:
°
Wien, Wiener Sozialdienste:
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