Christian Paumann
geb. 6.12.1980, Zwettl/NÖ,
Physiotherapeut, rechts im
Bild. Ausbildung in St. Pölten
2003, Master für Sportphysio-
therapie an der Universität
Wien 2007, Tätigkeit in
Krankenhäusern in Wien und
Niederösterreich von 2004–
2010, mehrjährige Erfahrung
als Physiotherapeut im
Leistungssport Volleyball
(Österreichisches Volleyball-
nationalteam Herren, 1. Bun-
desliga Volleyball), derzeit
hauptberuflich als Lehr- und
Forschungsbeauftragter im
Studiengang Physiotherapie
an der IMC Fachhochschule
Krems sowie freiberufliche
Tätigkeit. Aktive Mitarbeit bei
Physio Austria Fachgruppe
Sportphysiotherapie.
Prof. (FH) Reinhard Beikir-
cher, MAS,
geb. 30.9.1978,
Salzburg, Physiotherapeut seit
2000, links im Bild; Masterstu-
dium für Sportphysiotherapie
an der Universität Salzburg,
Physiotherapeut im Lorenz
Böhler UKH von 2001–2006,
Sportphysiotherapeut der
Leichtathletik Mehrkampf-
Nationalmannschaft 2004–
2005, Studiengangsleiter
an der IMC Fachhochschule
Krems, Lehrbeauftragter an
der Universität für Sport und
Bewegungswissenschaften
Wien.
physio
austria
inform
Juni 2012
15
Im Rahmen der Lehrveranstaltung Physiotherapie in der
Sportmedizin wurde das Projekt »Sportartanalyse im Hand-
ballsport« mit den Studierenden umgesetzt. Das Ziel für
die Studierenden war die praktische Anwendung eines
therapeutischen Prozesses mit folgenden Schwerpunkten:
Sportphysiotherapeutische Untersuchungsmethoden,
Interpretation der erhobenen Ergebnisse und systema-
tische Planung und Umsetzung von spezifischen Inter-
ventionsstrategien.
Dieses Projekt wurde mit einem niederösterreichischen
Handballverein umgesetzt, wobei weibliche und männliche
Nachwuchshandballer (n= 57) im Alter zwischen 10 und 15
Jahren (U12, U14, U16) sportphysiotherapeutisch getestet
wurden. Ziel dieser sportphysiotherapeutischen Unter-
suchung war es, einerseits die praktische Anwendung
kennenzulernen und andererseits einen Istzustand über
den Bewegungsapparat im Sinne einer Baseline-Erhebung
auf Funktionsebene zu erstellen. Im Zuge dieser Unter-
suchung führten die Studierenden eine Bewegungsanalyse,
eine muskuläre Analyse, eine biomechanische Kraftanalyse
und eine sensomotorische Analyse durch.
Um sportartspezifische Bewegungen beurteilen zu können,
dienten Videoanalysen der oberen Extremität beim Wurf
als Untersuchungsmethode. Diese Videoanalysen wurden
an einem Wettkampftag erstellt und nach einem ersten
Screening-Verfahren in spezifische Bewegungssequenzen
unterteilt. Der Hauptfokus der Bewegungsanalyse lag in
der Beurteilung der Wurfphasen, wobei das drehpunkt-
orientierte Bewegungsmodell die Grundlage dieser Analyse
darstellte. Die muskulären Analysen wurden anhand
von muskulären Modellen erstellt, die sich auf die Arbeits-
formen der einzelnen Muskelgruppen von oberer und
unterer Extremität als auch des Rumpfes bezogen.
Für die biomechanische Kraftanalyse wurde in der Be-
wegungsphase die Wurfbeschleunigungsbewegung heran-
gezogen. Diese Aufnahmen wurden anschließend mit
Kraftvektoren versehen, um entstehende Kräfte auf
Gelenksebene darstellen zu können. Die Untersuchung der
sensomotorischen Leistungsfähigkeit der unteren Extremi-
tät wurde mit dem MFT S3-Check durchgeführt und über
den Stabilitätsindex ausgewertet und interpretiert. Die
Teams wurden spezifisch nach Altersgruppen und Ge-
schlecht (U12 m, U14 m, U16 m, U12 w, U14 w) statistisch
erfasst und analysiert.
Auswertung beziehungsweise Interpretation
der Untersuchungsergebnisse:
Die Bewegungsanalyse zeigte, dass komplexe Bewegungs-
muster mit hohen Winkelgraden in den Hauptgelenken
(Schulter-, Ellbogen-, Hüft-, Knie- und Sprunggelenk)
während der Beschleunigungsphase und Abbremsphase
der Bewegung vorhanden waren. Die muskuläre Analyse
wies während den unterschiedlichen Wurfphasen auf
schnelle Wechsel zwischen konzentrischen, exzentri-
schen und isometrischen Arbeitsformen hin. Durch die
biomechanische Analyse bestätigte sich der Verdacht,
dass vor allem auf gekoppelte Gelenke wie Ellbogen- und
Schultergelenk beziehungsweise Knie- und Sprunggelenk
hohe resultierende Kräfte einwirken. Die hohen Dreh-
momente führen zu einem überproportionalen Erforder-
nis des sensomotorischen Systems, um die Gelenk-
stabilisierung aufrechtzuerhalten.
In der Untersuchung der sensomotorischen Leistungs-
fähigkeit waren im Durchschnitt enorme Defizite in allen
geschlechtsspezifischen Altersgruppen zu erkennen.
Man konnte Folgendes beobachten: Je jünger, desto
größer das sensomotorische Defizit; je älter, desto
kleiner das sensomotorische Defizit (siehe Abb. 1 und
Abb. 2). Daraus erfolgt die Interpretation, dass das
jahrelange Training auch zur Steigerung der sensomotori-
schen Leistungsfähigkeit beiträgt, insgesamt bleibt diese
aber unter dem Durchschnittsniveau.
Fasst man nun die Untersuchungsergebnisse und ihre
einzelnen Schlussfolgerungen dieses Projekts zusam-
men, so richtet sich der Hauptfokus von sportphysio-
therapeutischen Interventionsstrategien auf das senso-
motorische System. Münker et al. (1997)1 zeigten, dass
die Körperregion Sprunggelenk sehr häufig von Verlet-
zungen im Handballsport in diesen Altersgruppen (bis
14 Jahre, 15 bis 21 Jahre) betroffen ist. Die Ergebnisse
der sensomotorischen Untersuchung und die Erkennt-
nisse der Verletzungsgefahr im Bereich des Sprungge-
lenks sollten auf jeden Fall Anreiz dazu geben, das
Training des sensomotorischen Systems in die Trainings-
planung zu integrieren, um möglichen Verletzungen
präventiv entgegenzuwirken.
Die IMC Fachhochschule Krems hat die Ergebnisse den
Trainern und Verantwortlichen des Handballvereins prä-
sentiert und anhand eines Videos handballspezifische
Trainingsmöglichkeiten für das sensomotorische System
der unteren Extremität vorgeschlagen. Es wurde ebenso
über Umsetzungsvarianten gesprochen, um letztendlich
dem Handballnachwuchs eine gute Basis für eine opti-
male körperliche Leistungsentwicklung geben zu können.
In einem Jahr wird dieses Projekt evaluiert, um die Inter-
ventionen überprüfen zu können. Dann wird es noch
einmal spannend …
SPORTARTANALYSE
Christian Paumann, MSPhT, PT und Prof. (FH) Reinhard Beikircher, MAS, PT
Themenschwerpunkt
Sportphysiotherapie
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physio
austria
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Juni 2012
LITERATUR
Münker H., Gerlach J.,
Henke T., Gläser H.
(1997) Handball. In:
Engelhardt M., Hinter-
mann B., Segesser B.
(Hrsg.): GOTS Manual.
Sporttraumatologie.
Verlag Hans Huber,
Bern, 303–308.
ABB. 1
(eigene Darstellung)
Stabilitätswerte der
männlichen Nachwuchs-
handballer (Normwert
für die jeweilige Alters-
gruppe liegt bei 100 %;
grün = Normbereich,
gelb = geringes bis
mäßiges Defizit,
rot = starkes Defizit)
ABB. 2
(eigene Darstellung)
Stabilitätswerte der weib-
lichen Nachwuchshand-
ballerinnen (Normwert für
die jeweilige Altersgruppe
liegt bei 100 %; grün =
Normbereich, gelb =
geringes bis mäßiges
Defizit, rot = starkes
Defizit)
Eine Baseline-Untersuchung von Nachwuchs-
handballerInnen durch den Studiengang
Physiotherapie der IMC Fachhochschule Krems.
Der Stellenwert der Sensomotorik im
Nachwuchshandballsport
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