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Juni 2012
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Aktivationsregulation
(»Arousal Regulation«)
Die adäquate Aktivationslage stellt in allen Rehabilitati-
onsphasen einen bedeutsamen Faktor zur Genesungs-
förderung dar. Insbesondere eine zu hohe Aktivierung
ist der Nährboden für rehabilitationshemmende
Befindlichkeiten und Verhaltensweisen (Hermann,
Eberspächer, 1994). Daher kommen in der Rehabilitation
überwiegend Entspannungstechniken zum Einsatz. In der
Literatur findet sich eine Differenzierung von physischen,
kognitiven und multimodalen (gemischt physischen und
kognitiven) Entspannungstechniken.
Zu den physischen Entspannungsverfahren zählt die
Progressive Relaxation nach Jakobsen, eine systemati-
sche Anspannung und Entspannung großer Muskel-
gruppen, die bis zur völligen Entspannung durchgeführt
werden soll. Daneben stellt die sogenannte Atemkon-
trolle eine weitere physisch orientierte Entspannungs-
technik dar, die sehr einfach und effektiv zur Kontrolle
von Erregung und Muskelspannung eingesetzt werden
kann. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass Einatmung und
Anhalten der Atmung zu erhöhter Muskelspannung führt,
während die Ausatmung Muskelentspannung bewirkt.
Eine Reihe von ebenfalls körperlich orientierten Entspan-
nungstechniken wird unter dem Sammelbegriff »Bio-
feedback« zusammengefasst. Dabei werden physische
Vorgänge oder Reaktionen des autonomen Nerven-
systems sichtbar und hörbar gemacht, um sie dadurch
kontrollieren zu lernen. Andere Entspannungstechniken
zielen eher auf die geistige (kognitive) Entspannung ab
und führen indirekt zu körperlicher Entspannung. Eine
besonders im deutschsprachigen Raum bekannte Me-
thode ist das Autogene Training nach Schulz, das der
Erzeugung von spezifischen Empfindungen, wie Wärme
und Schwere dient. In der Untersuchung wurde den Teil-
nehmerInnen neben Elementen der oben beschriebenen
Verfahren eine bisher noch unerwähnte Technik, nämlich
die des »Ruhebildes« vermittelt. Dabei wird ähnlich einer
gedanklichen Phantasiereise ein besonders angenehmer
und ruhiger Ort aufgesucht und mit allen Sinnesqualitä-
ten in der Vorstellung wahrgenommen. Durch das »innere
Verweilen« an diesem Ort und der Wahrnehmung aller
Modalitäten kann ein tiefer Entspannungszustand
erreicht werden. Durch zusätzliche ruhige und konzen-
trierte Atmung kann schnell in diesen Zustand eingestie-
gen werden. Dies stellt einen wesentlichen Vorteil der
Technik dar. Neben dem reinen Entspannungseffekt dient
dieser Zustand auch als Voraussetzung für das folgende
Vorstellungstraining.
Vorstellungstraining (»Imagery«)
Darunter versteht man systematisches, immer wieder
bewusst wiederholtes Üben der Vorstellung diverser Sin-
nesqualitäten (Eberspächer, 1992). Der Begriff „Visuali-
sierung“ wird oftmals stellvertretend für das gesamte
Vorstellungstraining eingesetzt, bezeichnet aber im Rah-
men dessen nur die visuelle Komponente als einen von
mehreren Faktoren. Für wirksames Vorstellungstraining
in der Rehabilitation wird diversen AutorInnen zufolge
auch der Einsatz von akustischen, kinästhetischen, ko-
gnitiven und emotionalen Anteilen empfohlen.
Vorstellungstraining der Gewebsheilung
(»Healing Imagery«)
Neben Taylor und Taylor (1997), welche nachweisen
konnten, dass es eine positive Wirkung der Heilungsvor-
stellung auf physiologische Parameter gibt, zeigten
Ievleva und Orlick (1991), dass die Anwendung von „He-
aling Imagery“ nach Sportverletzungen mit kürzeren Ge-
nesungszeiträumen korrelierte. Voraussetzung für die
Durchführung ist ein entspannter Ausgangszustand, in
dem das Vorstellen des Heilungsprozesses vor dem inne-
ren Auge erfolgt. Es ist von zentraler Bedeutung, die
anatomischen Gegebenheiten des verletzten Körperteils
zu vermitteln, damit die Rehabilitanden beim Imaginati-
onsprozess ein möglichst klares, plastisches Bild der
Region kreieren können.
Vorstellungstraining von Bewegungen (Mentales Training
im engeren Sinn, »Mental Practice«)
Unter Mentalem Training versteht man die planmäßig
wiederholte, bewusst durchgeführte Vorstellung einer
Bewegung ohne deren gleichzeitige praktische Ausfüh-
rung. Beim Mental - sprachlichen Training wird der zu
Schwere Verletzungen am Bewegungsappa-
rat stellen einen belastenden Faktor dar, der
komplexe Stressprozesse auslöst, welche in
der Stressforschung als Belastungsreaktio-
nen bezeichnet werden (Mayer et al., 2003).
In der psychologischen Literatur findet man
eine Vielzahl von Forschungsarbeiten, aus
denen hervorgeht, dass Ängste, Befürchtun-
gen, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit,
Depression, Ungeduld, Ärger, Erregung,
psychosomatische Unruhe, Frustration,
Hilflosigkeit und Einsamkeit die häufigsten
Belastungsreaktionen sind (vgl. Hermann,
2001). Sie erweisen sich zumeist als nega-
tive Einflussfaktoren auf den Heilungspro-
zess und Rehabilitationsverlauf (Hermann,
Eberspächer, 1994). Die Dauer, Stärke und
das Ausmaß der Belastungsreaktionen wird
abgesehen vom Verletzungsereignis auch
von Persönlichkeitsmerkmalen sowie den
Umwelt- und Situationsbedingungen
bestimmt.
Die hier in der Folge angeführten psycholo-
gischen Skills stellen aufgrund der nachweis-
baren Wirkung eine einfache und vielfach
noch ungenützte Möglichkeit dar, den phy-
siotherapeutischen Prozess effektiver zu
gestalten. Mentale Trainingsformen sollten
daher in der Rehabilitation fest verankert
werden.
Mentale Trainingsformen (»Mental
Skills Training«) in der Rehabilitation
nach Verletzungen
Das seit Jahren im Sport als effektive Me-
thode etablierte »Mental Skills Training« wird
nun zunehmend auch im Bereich der Rehabi-
litation verwendet. Folgende, in der Studie
eingesetzte Techniken, eignen sich be-
sonders gut für die Rehabilitation am Bewe-
gungsapparat: Zielsetzungstraining, Aktiva-
tionsregulation und Vorstellungstraining,
insbesondere »Healing Imagery« und
Mentales Training im engeren Sinn.
Zielsetzungstraining (»Goal Setting«)
Realistische Zielsetzungen gelten als grund-
legende Voraussetzung für situations- und
anforderungsgerechtes Handeln (Eberspä-
cher, 1992). Für einen guten Therapieverlauf
ist es sinnvoll, den Prozess bis zur vollständi-
gen Genesung durch kurz- und mittelfristige
Zwischenziele zu gliedern, die ständig analy-
siert und gegebenenfalls verändert «werden
können. Die Zielsetzung dient dazu, den Re-
habilitationsprozess zu strukturieren und ihn
damit überschaubarer und effektiver zu ge-
stalten, was sich wiederum positiv auf die
Motivation auswirkt. Eine Zielsetzung sollte
möglichst konkret, positiv formuliert und in
einen Zeitrahmen eingebettet sein. Weiters
ist es von Vorteil, wenn Ziele als verbindlich,
aber nicht unumstößlich angesehen werden.
Idealerweise werden Ziele in Form von mess-
baren Kriterien gewählt, wobei es sich be-
währt hat, Ziele schriftlich zu fixieren, da es
die Verbindlichkeit erhöht und Fortschritte
besser erkennbar sind (Hermann, Eber-
spächer, 1994).
Psychische Faktoren
beeinflussen das Therapieergebnis
PSYCHOLOGIE
Mag. Wolfgang Margreiter, PT
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Themenschwerpunkt
Sportphysiotherapie
PhysiotherapeutInnen stellt sich immer wieder die Frage, warum bei ähnlicher Diagnose,
Operation und physiotherapeutischer Nachbehandlung sehr oft deutliche Unterschiede
im Therapieverlauf und -ergebnis auftreten, obwohl es sich um Personen gleichen Alters
und Geschlechts, ähnlicher Konstitution und in vergleichbaren Lebenssituationen han-
delt. Inwieweit psychische Aspekte und psychologische Interventionen das Therapie-
ergebnis beeinflussen, wurde in einer interdisziplinären Diplomarbeitsstudie am Institut
für Psychologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck überprüft.
Mag. Wolfgang Margreiter
ist Physiotherapeut und
Psychologe. Seit 2009 leitet
er die Abteilung Physiotherapie
des Sanatoriums Kettenbrücke
in Innsbruck. Neben seinem
Schwerpunkt in Sportphysio-
therapie und Manualtherapie
beschäftigt er sich mit ange-
wandter Psychologie in der
Rehabilitation. Er ist unter
anderem Lektor an der Uni-
versität Salzburg im Master-
studiengang Sportphysio-
therapie.
LITERATUR
Eberspächer, Hans (1992):
Mentale Trainingsformen in der
Praxis. Ein Handbuch für Trainer
und Sportler. 3. Aufl.,
Oberhaching: sportinform.
Hermann, Hans Dieter (2001):
Mediatoren und Modifikatoren
der Belastungsreaktionen nach
Sportverletzungen. Beiträge zu
einem interdisziplinären Modell.
Hamburg: Kovac (Studien zur
Stressforschung, 12).
Hermann, H. D.; Eberspächer, H. (1994a):
Psychische Rehabilitation nach
Sportverletzungen. In: J.R.Nitsch;
R.Seiler (Hrsg.), Bewegung und
Sport-Psychologische Grundlagen
und Wirkungen. Band 4.
St.Augustin: Academia.
Hermann, H.D.; Eberspächer, H. (1994b):
Psychologisches Aufbautraining nach
Sportverletzungen.
München: BLV (BLV-Sportwissen).
Ievleva, L.; Orlick, T. (1991):
Mental Links to Enhanced Healing:
an Exploratory Analysis. In: The Sport
Psychologist, Jg. 4, S. 25–40.
Mayer, Jan; Görlich, Peter;
Eberspächer, Hans (2003):
Mentales Gehtraining. Ein salutogenes
Therapieverfahren für die Rehabilitation.
Berlin: Springer.
Margreiter, W.; Schennach-Margreiter, W.:
Die Wirksamkeit von Mentalen Trainings-
formen in der Rehabilitation nach Verlet-
zungen des vorderen Kreuzbandes und
der Einfluss der Selbstwirksamkeit/
Kontrollüberzeugung auf das Rehabilitati-
onsergebnis. Innsbruck, Univ., Dipl.-Arb.,
2009.
Taylor, Jim; Taylor, Shel (1997):
Psychological approaches to sports
injury rehabilitation. Gaithersburg Md.:
Aspen Publishers.
Weinberg, R. S.; Gould, D. (2003):
Foundations of sport and exercise
psychology. 3. ed. Champaign, Ill.:
Human Kinetics.
VKB – Operation
Physiotherapie
12 Wochen
Kontrollgruppe
1. Test (Fragebögen Schmerz): 1.p.o. Woche
2. Test (Fragebögen, physische Tests): 13. – 15. Woche
Interventionsgruppe
zusätzliches
»Mentales
Training«
1,2-3,4-5,6-7,8-9 12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31,...32