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physio

austria

inform

Dezember 2015

Bestimmte individuelle Fähigkeiten und situative Gege-

benheiten sind für die Umsetzung eines derartigen

handlungsbegleitenden Prozesses notwendig. Einmal die

Offenheit und Fähigkeit der unvoreingenommenen Zuwen-

dung und Beobachtung, des Zuhörens und Aufnehmens

einer Situation. Weiter die Fähigkeit, auf Erfahrungen und

Erlebnisse zurückgreifen zu können und diese kritisch

vergleichend zu nutzen, aber auch eigene emotionale

Wahrnehmungen ernst und wichtig zu nehmen. Es braucht

schließlich Selbstvertrauen und Mut, all diese Erkennt-

nisse zu einem individuell auf die Situation hin passenden

Lösungsansatz zu verbinden und hier klar zu entscheiden,

auch wenn die Handlungsplanung von vorgegebenen

rezeptartigen, routinemäßig erfahrenen oder vorgege-

benen Wegen abweicht.

Es stellt sich die Frage, ob Reflexion eine quasi »ange-

borene« oder erworbene Fähigkeit ist? Tatsächlich gibt

es in der Literatur zwar unterschiedliche Darstellungen

von Reflexionsformen und didaktischen Formen, die die

reflexive Kompetenz fördern können. Jedoch beklagen

AutorInnen, dass es keine konkreten Anleitungen für die

Lehre gibt, wie Reflexion »unterrichtet« werden kann.

Sicher gilt, dass Formen der Reflexion geübt werden

müssen, um sich quasi zu automatisieren und in das

Handlungsspektrum von TherapeutInnen bereits frühzeitig

einzugliedern.

Was könnte das in der Praxis bedeuten?

Für das Individuum (PatientIn – BehandlerIn) könnte eine

Hinwendung zum reflektierten Arbeiten dazu führen,

situative Entscheidungen im Behandlungsprozess bewusst

zuzulassen. Aus der Zusammenschau und der Erkenntnis

der vielschichtigen Phänomene in der Interaktion Thera-

peutIn-PatientIn entsteht die Evidenz die uns in der

Therapie leitet. Dabei erscheint es für den Lernprozess

wichtig, die aus der Reflexion entstandenen neuen

Phänomene und Erkenntnisse zu dokumentieren und

darzustellen, um sie so als konkrete Lernerfahrungen

weiter wirksam zu machen.

»Reflexion«

in der Physiotherapie

Ressourcen für die individuelle Weiterentwicklung

und fachliche Entwicklungsprozesse

Viele Empfindungs- und Denkprozesse laufen während

des Kontakts mit PatientInnen ständig parallel ab und

beeinflussen die therapeutischen Entscheidungen. Wir

können damit unterschiedlich umgehen. Wir können

sie unbewusst wirken lassen oder wir können sie ins

Bewusstsein bringen und aktiv in die therapeutischen

Handlungen einbeziehen. Es ist die Fähigkeit zur »Refle-

xion«, die uns helfen kann, alle Wahrnehmungen erst

einmal zuzulassen, zu erkennen, in einer gewissen Weise

systematisch während und nach einer therapeutischen

Handlung zu analysieren und im Sinne eines ständigen

Entwicklungsprozesses weiterwirken zu lassen.

Der Bedeutung der Reflexion für das individuelle Lernen

nimmt in der (medizinischen) Aus- und Weiterbildung

einen zunehmend hohen Stellenwert ein. Reflexives

Verhalten wird als eine Grundvoraussetzung für lebens-

langes Lernen angesehen. Daher findet man auch in

Curricula und Weiterbildungskonzepten zunehmend

Lernphasen der Reflexion.

Den unterschiedlichen Theorien zur Reflexion als ein Teil

des Lernprozesses ist gemeinsam, dass der Reflexions-

prozess durch eine Handlung ausgelöst wird. Meist führt

die Erfahrung einer »Handlungsblockade« zum vorüber-

gehenden »Handlungsstillstand«, der über Reflexion

gelöst wird. Die Reflexion folgt dann gewissen zyklischen

Prozessen, die meist darin beschrieben werden, dass

die Situation erst beschrieben, dann gefühlsmäßig er-

fasst wird. Danach erfolgen ein Evaluierungsprozess, eine

Analyse und der Versuch einer Generalisierung, der zu

einem Aktionsplan für vergleichbare Situationen führt.

Dabei werden zur Erfassung und Beschreibung der Situa-

tion alle Ebenen des Erlebens und des Wissens gleicher-

maßen angesprochen. Über diesen Prozess erweitern

sich das Spektrum der Erkenntnis und das Handlungs-

potential jeweils auf Basis der individuellen, eigenen

Erfahrungen. Somit entsteht ein selbstgesteuerter Lern-

prozess, der sich deutlich unterscheidet von einem allge-

meinen Weiterbildungsprogramm, das fremdgesteuert

aufgesetzt wird.

Fokus

Qualität

Im folgenden Artikel soll der Begriff der Reflexion und die

Bedeutung reflexiven Handelns im medizinisch-therapeutischen

Setting überlegt werden. Ziel ist es, bei den LeserInnen einen

»Reflexionsprozess« zum Thema und zur weiteren Diskussion

anzuregen.