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Dezember 2015
19
OSTEOGENESIS IMPERFECTA
Brigitte Müller, Dr. Oliver Semler
MEDIKAMENTE
PHYSIOTHERAPIE
PATIENTiN
PHYSIOTHERAPIE
Das Ziel der Physiotherapie ist, durch Kräftigung des
muskuloskelettalen Systems eine möglichst große
Selbständigkeit für die PatientInnen zu erzielen. Früher
stand Immobilisation im Vordergrund, heute werden die
PatientInnen frühzeitig zu Bewegung motiviert und zu
Selbständigkeit ermutigt, da eine gut ausgeprägte, aktive
Muskulatur auch zu einer verbesserten Stabilität der
Knochen führt.
Die physiotherapeutische Begleitung beginnt bereits
im Säuglingsalter und kann bis ins hohe Alter fortgeführt
werden. Die Schwerpunkte der Therapie gestalten sich
in den verschiedenen Phasen unterschiedlich. Eine wich-
tige Aufgabe in der Physiotherapie ist der Angstabbau.
Anfangs betrifft die Angst die Eltern und weitere Betreu-
ungspersonen des Kindes, wie Pflegepersonal oder
ErzieherInnen. Später kommt es bei den Kindern selbst
zu Ängsten, erneut Frakturen zu erleiden. Sie vermeiden
Bewegungen, dadurch kann es zu einem Verlust der
Mobilität kommen. Ziel ist, durch Beratung und Auf-
zeigen von Fähigkeiten Ängste abzubauen.
Ansätze der Physiotherapie
Im Säuglingsalter werden Eltern im Handling angeleitet,
es werden verschiedene Hebe- und Tragevarianten
ausprobiert, Alltagsaktivitäten wie Wickeln, An- und
Ausziehen, Baden etc. werden geübt. Den Eltern werden
verschiedene Lagerungsmöglichkeiten gezeigt. Durch
die Physiotherapie werden die Kinder in ihrer Entwick-
lung unterstützt. Gerade in dieser ersten Phase müssen
die Eltern in vielfältiger Richtung beraten werden. Hilf-
reich kann ein Kontakt zu Selbsthilfegruppen sein.
So früh wie möglich sollten OI-PatientInnen aktiv in seine
Behandlung einbezogen werden. Ziele werden gemein-
sam festgelegt und erarbeitet. Bevorstehende Aktivitä-
ten werden verbal besprochen. Die PatientInnen haben
dadurch die Möglichkeit, aktiv mitzuarbeiten.
Im Kindes- und Jugendalter ist im Hinblick auf ein selb-
ständiges und selbstbestimmtes Leben besonders
wichtig, neue Bewegungsabläufe und höhere motorische
Funktionen zu erproben, damit das Kind nicht hinter
seinen Möglichkeiten zurückbleibt.
Die Ausprägung der Osteogenesis imperfecta (OI)
variiert stark. Einige PatientInnen haben nur
wenige Frakturen in der Kindheit und sonst keine
Einschränkungen bei fast normaler Körpergröße.
Andere sind aufgrund rezidivierender Frakturen,
ausgeprägtem Kleinwuchs und Verbiegungen der
Röhrenknochen nicht stehfähig. Bei allen Formen
nimmt die Frakturrate nach der Pubertät ab.
Ab diesem Zeitpunkt sind hauptsächlich noch Ein-
schränkungen durch bestehende Verformungen
und degenerative Veränderungen zu erwarten.
Therapeutische Möglichkeiten
Die Therapie der OI basiert auf drei Säulen (Abb.1),
nämlich Medikamente, orthopädische Behandlung
und Physiotherapie.
MEDIKAMENTE
Die Therapie mit Bisphosphonaten ist bei Kindern und
Jugendlichen mit mittleren oder schweren Verlaufsfor-
men einer OI als Standard anzusehen. Bisphosphonate
führen zu einer Hemmung des Knochenabbaus. Dadurch
wird eine Zunahme der Knochenstabilität erreicht,
chronische Skelettschmerzen reduziert und die Mobilität
gesteigert. Die Bisphosphonattherapie ist vor allem
während des Wachstums effektiv und wird nach der
Pubertät beendet. Eine Wiederaufnahme der Therapie
kann bei chronischen Skelett- und Rückenschmerzen
wieder notwendig werden. Andere Medikamente werden
derzeit in Studien untersucht.
ORTHOPÄDISCHE BEHANDLUNG
Nicht dislozierte Frakturen werden häufig durch Immo-
bilisation behandelt. Eine Fraktur bei PatientInnen mit
OI benötigt keinen längeren Heilungsverlauf als bei nicht
betroffenen PatientInnen. Die Immobilisationsphase
sollte so kurz wie möglich gehalten werden, um einem
Abbau von Muskulatur und Knochenmasse vorzubeugen.
Bei dislozierten Frakturen der Extremitätenknochen oder
zur Begradigung von Deformierungen kommen operative
Maßnahmen unter Verwendung von intramedullären
Teleskopnägeln zum Einsatz. Diese bestehen aus zwei in
einander geschobenen Teilen, die während des Wachs-
tums auseinander gleiten können und den Knochen über
viele Jahre von innen »schienen«.
Eine Begradigung von Deformierungen der Beine sollte
erwogen werden, wenn die Mobilität der PatientInnen
dadurch eingeschränkt ist. Bei Kindern, die aufgrund
ihres Alters oder ihrer Gesamtsituation nicht stehfähig
sind, sollte eine Begradigung kritisch überdacht werden.
ORTHOPÄDIE