inform Nr.4 September 2014 - page 30

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physio
austria
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September 2014
Für Skoliosebetroffene aus Österreich gibt es derzeit
zwei Therapiemöglichkeiten: ambulante Physiotherapie
durch PhysiotherapeutInnen vor Ort und stationäre
Intensivrehabilitation in einer der beiden Skoliose-
Kliniken in Deutschland.
Wie zahlreiche Studien belegen, verzeichnet die statio-
näre Intensivrehabilitation in Deutschland signifikant
positive Therapieergebnisse (Weiß 1999; 2003) während
die ambulante Therapie teilweise immer noch kontrovers
diskutiert wird (Hawes 2003). Ambulante Skoliosethera-
pie ist bislang kaum Gegenstand von Untersuchungen
geworden, wohl auch deshalb, weil die Ergebnisse
deutlich schwieriger messbar sind.
Dennoch erfahren die in Österreich behandelnden
PhysiotherapeutInnen regelmäßig, dass ihre Tätigkeit
auch in ambulanten Settings erfolgreiche Ergebnisse
hervorbringt (Negrini et al. 2008). Diese reichen von
Verbesserungen der messbaren Werte bis hin zu Ver-
langsamungen der Progredienz.
Vor diesem Hintergrund erscheint es bedeutsam, den
Stellenwert der ambulanten Skoliosetherapie zu erheben.
Aus diesem Grund hat sich die Praxengemeinschaft
»Skoliose Therapie Zentrum« dazu entschlossen, in einem
ersten Arbeitsschritt die ambulante Physiotherapie aus
Sicht der Betroffenen bezüglich des persönlichen
Benefits, Motivation und Compliance zu untersuchen.
Zu diesem Zweck wurde 2013/2014 im Skoliose Therapie
Zentrum eine anonymisierte Umfrage durchgeführt.
Einige Ergebnisse der Umfrage
Insgesamt haben 141 Personen verschiedener Altersklas-
sen an der Umfrage teilgenommen, davon 108 weiblich,
31 männlich, zwei ohne Angabe. Als Teilnahmebedingung
wurde eine Mindestzahl von zehn Therapien festgesetzt,
um ein Urteil abgeben zu können.
Die Ergebnisse zeigen, dass ein erheblicher Anteil der
Befragten als LangzeitpatientInnen zu bezeichnen ist,
was dem Umstand geschuldet ist, dass die meisten
SkoliosepatientInnen im Wachstum befindliche Personen
sind. Gerade in dieser Altersklasse ist regelmäßige Be-
gleitung von gewichtiger Bedeutung, da die Wirbelsäule
in der Wachstumsphase den größten Veränderungen
unterworfen ist (Rigo et al. 2010).
Die befragten Personen wurden gebeten, Aussagen mit
Hilfe eines vorgegebenen Bewertungssystems (trifft
vollständig zu/trifft weitgehend zu/trifft kaum/trifft
nicht zu) zu kennzeichnen:
Idiopathische
Skoliose
Der Stellenwert der physiotherapeutischen
Intervention aus Sicht der Betroffenen
AUSSAGE 1
Durch die Therapie fühle ich mich aufrechter.
85,1% der Befragten gaben an, dass die Aussage
vollständig zutrifft. Die Therapie führt also bei zahlrei-
chen Personen zu einer Verbesserung der muskulären
Balance sowie zu Synergieeffekten der stabilisierenden
Muskulatur, was sich in dem Gefühl der verbesserten
Aufrichtung äußert, selbst wenn die Cobbwerte nicht
reduziert werden können. Besonders erfreulich ist der
Umstand, dass von keiner der befragten Personen
angegeben wurde, dass die Aussage nicht zutrifft.
AUSSAGE 2
Die Therapie hat mir geholfen, meinen Rücken
besser wahrzunehmen, so dass ich jetzt weiß,
wie ich korrigieren muss.
87,9% wählten die Antwortmöglichkeit »trifft vollständig
zu«. Skoliosebetroffene Personen nehmen die Abwei-
chungen ihrer Wirbelsäule nicht bewusst wahr (Lehnert-
Schroth 2000). Aufgrund der neurophysiologischen
Umbahnung des Haltungsmusters und des Körperbildes
wird die korrigierte Position meist als schief wahrgenom-
men, während sich die Positionierung in der Skoliose
„normal“ anfühlt. Daher kommt der Wahrnehmungs-
schulung hier eine besondere Bedeutung zu. Nur wer
seine Fehlhaltung als unphysiologisch erkennt, kann
dagegen vorgehen.
AUSSAGE 3
Durch die Therapie habe ich das Gefühl
besser Luft zu bekommen.
Skoliose kann zu einer Einschränkung der Lungen-
kapazität führen. Bei hochgradigen Wirbelsäulenver-
krümmungen (ab ca. 70° nach Cobb) kommt es durch
die Verengung des Brustkorbes zur Verringerung des
Atemvolumens (Tsiligiannis & Grivas 2012). Auch bei
geringeren Graden können jedoch Atemeinschränkungen
festgestellt werden. Skoliose führt in den meisten Fällen
zu einem unphysiologischen Einsatz des Zwerchfells, was
wiederum zu einer Überlastung der Atemhilfsmuskulatur
führt. Skoliosetherapie muss diesem Umstand in jedem
Fall Rechnung tragen. 56,1% der PatientInnen gaben ein
vollständiges Zutreffen der Aussage an.
Mag. Esther Klissenbauer
ist Physiotherapeutin und Pädagogin; seit
2004 mit Schwerpunkt Skoliosetherapie.
2010 Gründung des Skoliose Therapie
Zentrums Wien; seit 2011 Lehrende an
der FH Campus Wien; seit 2012 Leiterin
des fachlichen Netzwerks Skoliose von
Physio Austria.
Aus der Praxis
Evidenz
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