Previous Page  28 / 40 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 28 / 40 Next Page
Page Background

Starke Kinder

mit Zerebralparese

Eckdaten und Umwelten

Bei Kindern mit Zerebralparese (CP) schränkt eine be-

einträchtigte Muskelfunktion (Spastizität, Muskelschwä-

che, beeinträchtigte selektive Ansteuerung) die Ausfüh-

rung von Alltagsaktivitäten sowie die Mobilität erheblich

ein. Damit rücken Behandlungsziele – wie größtmögliche

Eigenaktivität, Problemlösekompetenz in der Interaktion

mit den Umfeldgegebenheiten sowie Unterstützung der

sozialen Teilhabe – in den Vordergrund.

Im therapeutischen Zugang hat sich in den letzten Jahren

ein deutlicher Wandel vollzogen. Die Maßnahmen gehen

heute weit über Inhibition, Dehnung, Fazilitation und

Aktivierung antagonistischer Muskulatur hinaus. Während

die Spastizität als charakteristisches Merkmal der Zere-

bralparese in vielen Therapiekonzepten repräsentiert ist,

wurde die Problematik der Minussymptomatik (im Beson-

deren die Verminderung von Muskelkraft) lange Zeit

wenig beachtet.

Heute geht man davon aus, dass vor allem die Muskel-

schwäche ein Kind in seiner Mobilität hindert und der

Kraftmangel als zentraler Punkt der motorischen Ein-

schränkung zu sehen ist. Vor wenigen Jahren noch galt

Krafttraining bei Kindern mit Zerebralparese als nicht

angemessen, es galt das Paradigma »Widerstand erhöht

die Spastik« oder »Anstrengung führt zu einer Erhöhung

des Tonus«. Im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs wird

Krafttraining als anerkannte Intervention immer mehr

akzeptiert.

Damiano & Abel konnten eine signifikante Verbesserung

im Gehen, Laufen und Springen (gemessen mit dem

Gross Motor Function Measure GMFM, Dimension E) und

eine Zunahme der Ganggeschwindigkeit nachweisen.

Die Autoren betonen die Bedeutung eines individuell

auf das Kind abgestimmten Trainingsprogramms, da in

dessen Rahmen die schwächsten Muskeln trainiert

werden. Signifikante Verbesserungen zeigten sich auch

in der Ausdauer beim Antreiben des Rollstuhls.

Die Trainingsintensität soll langsam gesteigert werden,

basierend auf dem individuellen Kraftlevel des Kindes.

Am ehesten geeignet ist hierzu die Bestimmung des RM

(repetition maximum) – bei welchem maximalen Gewicht

schafft das Kind die 15 Wiederholungen in korrekter

Ausführung der Bewegung. Scholtes sieht in einer fort-

schreitenden Belastung bis zum Überlastungsprinzip

(progressive resistence exercise, PRE) die besten

Trainingseffekte.

Krafttraining ist bei leichter bis moderater CP (Level I-III

nach dem GMFCS) besonders sinnvoll. Begonnen

werden soll spätestens ab dem siebten, besser ab dem

fünften oder sechsten Lebensjahr, wenn das Kind ein

Verständnis für das Training entwickeln kann.

Es werden Single-joint- und Multi-joint-Übungen ausge-

führt, sowohl mit konzentrischer als auch mit exzentri-

scher Muskelaktivität. Jedoch sollte bei sehr schwacher

Muskulatur zunächst mit Single-joint-Übungen begonnen

werden, um die Mitinnervation stärkerer Muskeln in einer

Bewegungsfolge zu verhindern.

Götz-Neumann betont die Bedeutung der exzentrischen

Kontrolle der Bewegung zur Verbesserung der Gehfähig-

keit. Exzitation und Sprungkrafttraining der Waden-

muskulatur sowie Kräftigung der becken- und hüft-

stabilisierenden Muskulatur ermöglichen bessere will-

kürliche Ansteuerung und eine funktionellere motorische

Kontrolle. Es wird zunächst konzentrisch, in weiterer

Folge isometrisch und exzentrisch mit zunehmender

Geschwindigkeit der Ansteuerung zur Verbesserung

der Standbeinphase trainiert.

Trotz nachgewiesener Effektivität bleiben die Effekte in

der Mobilität noch begrenzt. Dies könnte daran liegen,

dass eine Verbesserung der Mobilität auch Koordination

und Gleichgewichtstraining beinhalten muss. Moderne

Konzepte zum Krafttraining bei CP schließen bedarfsge-

recht auch Laufband-Therapie, gerätegestütztes Kraft-

training, Constrained-Induced Movement Therapy und

weitere mit ein. Nicht zuletzt sollte Krafttraining aber

auch Freude machen. Ein Gruppentraining könnte hier

nicht nur die Freude, sondern auch die Motivation und

das Selbstbewusstsein des Kindes erhöhen.

Physiotherapie bei CP ist stetig im Wandel, und das ist

gut so! Sie will Kinder stärken – in ihrer motorischen

Handlungskompetenz, aber auch in ihrem Selbstwert.

Nur so werden wir längerfristig die besten Therapie-

erfolge erzielen: nicht nur Funktion verbessern, sondern

auch Partizipation ganz im Sinne der ICF-Kriterien.

Progressives Krafttraining bei Kindern mit zerebraler Bewegungs-

störung ab dem siebten Lebensjahr führt zu verbesserter Aktivität

und Partizipation im Alltagsleben und rückt damit stärker in den

Fokus der therapeutischen Aufmerksamkeit

28

physio

austria

inform

Februar 2017

Themenschwerpunkt

Physiotherapie und Menschen mit Behinderung