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physio

austria

inform

Februar 2017

Julian

Mein Patient mit Hemiparese links

Ich vermutete einen erlernten »Non-Use« der betroffe-

nen Extremität. Julians Mutter bestätigte mir, dass im

Krankenhaus hauptsächlich mit der gesunden Seite ge-

arbeitet worden war. Als Julian drei Jahre alt war, meinte

man, er hätte den geistigen Stand eines eineinhalbjähri-

gen Kindes und könne niemals in eine normale Schule

gehen. Übungen für zuhause wurden in den sechs Jahren

nicht angeleitet. Unsere Behandlungen erfolgten nach

dem Bobath-Konzept. Es galt, die gesamten kindlichen

motorischen Entwicklungsphasen bis zum freien

Gehen top down mit Julian therapeutisch nachzuholen.

Die Hilflosigkeit aufgrund der Behinderung des Sohnes

und die Ängste hinsichtlich Julians Zukunft waren bei den

Eltern sehr groß; sie wirkten belastet und angespannt.

Julian selbst war ein unruhiges Kind, das sich nicht lange

auf eine Aufgabe konzentrieren konnte.

Wir arbeiteten anfangs viel aus der Bauchlage, holten

das Stützen auf Ellbogen und Hand nach, um den Schul-

tergürtel und den linken Arm motorisch zu integrieren

und zu verschalten. Die Eltern wurden von mir angeleitet,

die linke Körperhälfte oberflächen- und tiefensensorisch

zu stimulieren, um Julians Wahrnehmung der mehr be-

troffenen Seite zu verbessern. Mir war und ist sehr daran

gelegen, die Behandlungen an den Zielen des ICF-Mo-

delles auszurichten, unter Berücksichtigung aller Kompo-

nenten: Körperfunktionen und Strukturen, Aktivitäten

und Partizipation, Umweltfaktoren sowie personenbezo-

gene Faktoren. Julians Mutter erzählte mir, am Spielplatz

stand Julian nur daneben und schaute mit großen Augen

anderen Kindern zu. Selber wagte er jedoch nichts aus-

zuprobieren. Wir übten Einbeinstand, Trampolinhüpfen,

trainierten dreidimensionale Bewegungsmuster der obe-

ren und unteren Extremität konzentrisch und exzentrisch

und trainierten am Laufband.

Ich arbeite mit Julian, seit er 6 Jahre alt ist. In den Jahren davor wurde

er in der Pädiatrieabteilung eines Krankenhauses versorgt. Er lernte frei

gehen, war aber nicht in der Lage, alleine auf einem Trampolin zu stehen

oder sicher auf etwas hinaufzusteigen. Der gesamte linke Arm war zum

Zeitpunkt unseres Kennenlernens schlaff gelähmt und zeigte keinerlei

Funktion.

LITERATUR

Rosenbaum, P. & Rosenbloom,

L. (2012). Cerebral Palsy –

From Diagnosis to Adult Life.

Mac Keith Press.

Sturm, A. (2015). Julian. In: I

n besten Händen – Menschen

aus Pflegeberufen erzählen.

Hg. Christine Dobretsberger.

Styria Verlag.

Sturm, A. (2016). Ethical

reasoning in der Physiotherapie,

Fallbeispiel Carla, spastische

bilaterale ICP. In: Pt_Zeitschrift

für Physiotherapeuten, 12/2016.

Pflaum Verlag.

Themenschwerpunkt

Physiotherapie und Menschen mit Behinderung