Previous Page  28 / 40 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 28 / 40 Next Page
Page Background

Morbus Bechterew –

geschlechterungleiche Behandlung

Geschlechterspezifische Unterschiede des klinischen Phänotyps

im Hinblick auf die Gruppentherapiegestaltung

Menschen mit Rückenschmerzen als PatientInnen sind

aus der heutigen Gesundheitswelt nicht mehr wegzuden-

ken. Dabei sind die Ursachen so vielfältig wie die Men-

schen selbst. Der Gedanke, dass das Immunsystem ein

entscheidender Einflussfaktor bei der Entstehung von

Rückenschmerzen ist, kommt häufig erst im Verlauf der

Diagnosefindung zum Tragen. Morbus Bechterew (AS,

ankylosierende Spondylitis) zählt zu den prädominant

axialen Spondylarthropathien. Im Vordergrund dieser

Erkrankung stehen Schmerzen und Einschränkungen des

Bewegungsapparates, vor allem der Wirbelsäule und des

Beckens.

Hauptsächlich charakterisiert sich die AS jedoch durch

den entzündlichen Rückenschmerz. Dieser entspricht

laut den neuen ASAS-Klassifikationen (Assessment of

Spondylo Arthritis international Society) vier von fünf

Kriterien:

°

Alter bei erstmaligem Auftreten von Symptomen:

< 40 Jahre

°

langsamer Beginn

°

Verbesserung der Schmerzen bei Bewegung

°

keine Verbesserung der Schmerzen in Ruhe

°

Schmerzen in der Nacht, die sich nach

dem Aufstehen verbessern

Neben diversen Behandlungen stellt die Physiotherapie

eine wesentliche Therapiesäule dar, welche vergleichs-

weise äußerst kosteneffektiv ist. In unterschiedlichen

Arbeiten von Dagfinrud et al. (2004, 2008) wurde ge-

zeigt, dass die Kombination aus stationärer Kur und

Bewegungstherapien mit anschließenden ambulanten,

wöchentlichen Gruppenphysiotherapiestunden die effek-

tivste Form der Begleitung für die PatientInnen darstellt.

Die Möglichkeit einer spezifizierten Behandlung wird so

zwar verringert, jedoch spielt die Wahl der Gruppenmit-

glieder dabei eine entscheidende Rolle. Ziel der von mir

verfassten Bachelorarbeit war es, geschlechterspezifi-

sche Unterschiede aufzuzeigen und so eine Indikation

für eine geschlechtergetrennte Gruppentherapie fest-

zustellen.

Geschlechterspezifische Unterschiede

Es konnte festgestellt werden, dass mehr Frauen als

Männer angaben, Rückenschmerzen als Hauptproblem

zu erleben. Außerdem lässt sich klar erkennen, dass

Nackenschmerzen, obere Rückenschmerzen, periphere

Arthritis und Enthesitis vor allem bei Frauen vorkommen.

Männer weisen einen schwereren radiografischen Scha-

den auf, sowohl im frühen als auch im späten Krankheits-

verlauf. Außerdem wird bei Männern ein signifikant

höherer CRP-Wert gemessen.

Es besteht Grund zur Annahme, dass es eine generell

differenzierte Schmerzwahrnehmung gibt sowie bei

Frauen eine größere Bürde durch die Erkrankung. Diese

resultiert daraus, dass sie deutlich mehr Einschränkun-

gen in ihren Aktivitäten und in ihrer Partizipation am

Leben (BASFI, ASQol etc.) wahrnehmen. Der Einfluss

von biologischen, psychologischen und psychosozialen

Faktoren auf die Schmerzwahrnehmung und Schmerz-

verarbeitung spiele dabei eine wesentliche Rolle. Weitere

psychologische Erklärungen inkludieren den Einfluss von

sozialen Geschlechterrollen, den Unterschied im Umgang

mit Schmerz, das erhöhte Auftreten von Komorbiditäten

wie Angststörungen oder Depression bei Frauen sowie

den empirischen Mechanismus der Erfahrung von

Geburten. Dies sollte bei geschlechterspezifischen

Unterschieden bezüglich des Schmerzniveaus beim

Outcome klassifizierender Assessments berücksichtigt

werden, da weniger Frauen bestimmte Kriterien erfüllen

könnten, wenn der Gesamtwert eines solchen Assess-

ments signifikant durch Schmerzlevels beeinflusst wird.

Geschlechterspezifische Unterschiede bei verschiedenen Pathologien rücken besonders

seit dem Aufkommen der Gendermedizin in den vergangenen Jahren vermehrt ins Zentrum

des Interesses. Aufgrund der unterschiedlichen Krankheitsmanifestation der Geschlechter

besteht die Frage, ob und wie man diese Differenzen der klinischen Präsentation optimal

innerhalb eines physiotherapeutischen Gruppentherapiesettings nutzen und behandeln kann.

28

physio

austria

inform

Juni 2017

Themenschwerpunkt

Gendermedizin in der Physiotherapie