Gendermedizin und Kardiologie
Geschlechtsunterschiede in der Kardiologie
in Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation
Das Yentl-Syndrome steht für geringere Chancen von
Frauen mit koronarer Herzkrankheit, Zugang zu Herzka-
theter, Intensivstation, Bypassoperation oder Herztrans-
plantation zu erhalten. Das bedeutet, Frauen brauchen
ab Auftreten der ersten Symptome länger zum Erreichen
der kardiologischen Spitzenmedizin. Sie haben geringere
Chancen, überhaupt dorthin zu gelangen und sie haben
bei allen operativen Eingriffen eine höhere Mortalität.
Dies wurde in den 1990er-Jahren in zahlreichen Studien
nachgewiesen und vor allem darauf zurückgeführt, dass
koronare Herzerkrankungen beziehungsweise Herzin-
farkte als Männerkrankheiten angesehen wurden. Hier
wurden viele Gegenmaßnahmen, etwa der Frauenherz-
tag oder die Go Red-Aktion, durchgeführt. Doch wo
stehen wir heute – nach 25 Jahren Yentl-Syndrome?
Es wurden viele Awareness-Aktionen durchgeführt, die
durchaus Bewusstsein geschaffen und die Geschlechts-
unterschiede verringert haben. Der Trend allerdings ist
noch nicht gebrochen. Das zeigen wissenschaftliche
Studien und vor allem zahlreiche Bevölkerungsumfragen.
Geschlechtsunterschiede bei
koronaren Herzerkrankungen
Heute wissen wir, dass sich koronare Herzerkrankungen
bei Frauen und Männern anders manifestieren können:
Männer haben zum Beispiel eher Verkalkungen der gro-
ßen Koronargefäße, Frauen Verkalkungen der kleinen
Koronargefäße und häufiger Spasmen. Auch Schwan-
gerschaft hat einen Einfluss auf das Herz, zum Beispiel
Kardiomyopathien. Diese Unterschiede im Mechanis-
mus der koronaren Herzerkrankung können auch zu
Unterschieden in Symptomen und Diagnose führen.
Wir kennen unterschiedliche Symptome, dann atypische
Herzsymptome genannt: Schweißausbruch, Übelkeit,
Ängstlichkeit oder Kollapsneigung. Wir wissen von Un-
terschieden in der Ergometrie, die für Frauen deutlich
weniger aussagekräftig ist. Das alles führt häufig immer
noch zu einer Unterversorgung von Frauen oder zumin-
dest einem geringeren Prozentsatz von Akut-Herzkathe-
tern, Sofort-Einweisungen auf die Intensivstation etc.,
was einen Einfluss auf den Outcome hat.
Herzprävention
Herzprävention sollte generell im Mittelpunkt der Prä-
vention stehen, da Herztod die Haupttodesursache für
Frauen und Männer weltweit darstellt. Frauen könnten
hier profitieren, da Präventionsmaßnahmen generell
öfter von Frauen als von Männern in Anspruch genom-
men werden. Es gibt einen weiteren Vorteil, nämlich,
dass die Hauptrisikofaktoren – Bluthochdruck, Zucker-
krankheit, Rauchen, erhöhte Blutfettwerte, Bewegungs-
mangel, Übergewicht – sowohl für Frauen als auch für
Männer gelten, wenn auch in unterschiedlichem Aus-
maß und Wirkmechanismus, sodass in Familien gemein-
sam »herzgesund« gelebt werden kann. Allerdings führt
die Zuschreibung der Herzerkrankung als Männerkrank-
heit nach wie vor dazu, dass Frauen nicht so auf Herz-
prävention fokussiert sind wie Männer. Das große
Problem in Österreich ist hier der Nikotinmissbrauch
junger Frauen und auch das Faktum, dass bei den meis-
ten Statistiken Frauen bei Bewegung in allen Alters-
klassen schlechter abschneiden als Männer.
Geschlechtsunterschiede in der Kardiologie waren
eines der ersten und am besten erforschten Themen
der Gendermedizin. Die Ergebnisse wurden unter
dem Begriff Yentl-Syndrome zusammengefasst.
Physiotherapie – Ihre Leistung
Der unverzichtbare Beitrag der Physiotherapie
ist das Angebot maßgeschneiderter Bewe-
gungsangebote für Frauen und Männer in
allen Altersgruppen, um das Herzrisiko zu
reduzieren, besonders durch die Reduzierung
der Herzrisikofaktoren Hochdruck, erhöhte
Blutfettwerte und Übergewicht.
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Juni 2017
Themenschwerpunkt
Gendermedizin in der Physiotherapie