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physio

austria

inform

Juni 2017

Themenschwerpunkt

Gendermedizin in der Physiotherapie

Wer (er)trägt wie viel?

Lastenhandhabung und geschlechtergerechte

Beratung in der Arbeitsmedizin

Hinsichtlich des Sicherheits- und Gesundheits-

schutzes am Arbeitsplatz sah man lange Zeit den

Mann als Norm für Arbeitsplatzeinrichtungen und

persönliche Schutzausrüstungen. So kam es, dass

Frauen oft mit zu großen Arbeitshandschuhen oder

anderen, nicht passenden Schutzkleidungen arbeiten

mussten.

Unter anderem hatten die AnbieterInnen der Schutz-

ausrüstungen jedoch erkannt, dass durch die zuneh-

mende Zahl von Frauen an den Arbeitsplätzen eine

Anpassung erfolgen musste.

Auch der Gesetzgeber hat reagiert und bei der Las-

tenhandhabungsverordnung geschlechtergerecht dif-

ferenziert. Die Erhebung von physischen Belastungen

an den Arbeitsplätzen berücksichtigt nun sowohl

Männer als auch Frauen in Bezug auf die Grenzwerte

von Lasten, die über einen Arbeitstag selten oder

häufig gehoben, getragen, gehalten, gezogen oder

geschoben werden. Das Augenmerk bei der Lasten-

handhabung ist dabei nicht nur auf die Beanspru-

chung der Wirbelsäule, sondern auch auf die

Beanspruchung der Organe gerichtet.

Leitmerkmale

Um eine Risikoeinschätzung durchzuführen und da-

raus eine Risikobewertung zu erarbeiten, werden

Analysetools verwendet, die Leitmerkmale beinhal-

ten. Damit sind orientierende Beurteilungen möglich.

Sie berücksichtigen die wichtigsten Tätigkeitsmerk-

male manueller Arbeitsabläufe wie Heben, Halten,

Tragen und Ziehen, Schieben. Diese Leitmerkmal-

methoden beschreiben die Art und Ausprägung der

relevanten Tätigkeit unter Berücksichtigung des

Geschlechts.

Erhoben werden dabei die

°

Zeitdauer, Häufigkeit der Lastenhandhabung,

°

das Lastgewicht,

°

die Körperhaltung und

°

die Ausführungsbedingungen.

Zusammen mit einer Risikobewertung bildet die Leitmerk-

malmethode die Wahrscheinlichkeit einer körperlichen

Überbeanspruchung ab. Bei der Erhebung des Lastge-

wichtes wird eine Tabelle getrennt für Männer und Frauen

herangezogen. Die Angaben der Handhabung von Lasten

bei der Frau liegen zwischen 5 und 25 Kilogramm. Im

Vergleich: Beim Mann liegen sie zwischen 10 und 40 Kilo-

gramm. Ausschlaggebend ist dann nicht nur die Wieder-

holungszahl der Hebe- oder Tragetätigkeit, sondern auch

die Körperhaltung, die bei der Lastenhandhabung einge-

nommen werden muss.

Zu guter Letzt werden dann die Ausführungsbedingungen

bewertet. Ein ergonomisch gut eingerichteter Arbeits-

platz ist die beste Ausgangssituation. Die schlechteste

Ausgangssituation stellt eine stark eingeschränkte Bewe-

gungsfreiheit und/oder Instabilität des Lastschwerpunk-

tes dar. Können durch die Leitmerkmalmethode die

ergonomischen Mängel nicht ausreichend beschrieben

und bewertet werden, muss eine weitere Risikobewertung

durch ein anderes Ergonomie-Analysetool erfolgen.

Beratung vor Ort

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass in der

Arbeitsmedizin unter Anwendung der Evaluierung ergono-

mischer Mängel spezifisch auf Frauen eingegangen wird.

Eine Sonderbehandlung am Arbeitsplatz erhalten sie des-

wegen jedoch nicht. Vielmehr werden Frauen gemäß ihrer

natürlichen, geschlechterspezifischen physischen Belas-

tungsmöglichkeit eingesetzt. Zur Verbesserung von Kör-

perhaltungen und Lastenhandhabung ist es unumgänglich,

vor Ort an den Arbeitsplätzen Schulungen zur Verhalten-

sprävention vorzunehmen. Ergonomisches Bewegungsver-

halten ist nicht selbstverständlich. So kann beobachtet

werden, dass in einer Arbeitsgruppe bei gleicher Tätigkeit

unterschiedlichste Bewegungsmuster auftreten. Einerseits

entstehen diese durch die individuellen Körpermaße und

andererseits durch unsachgemäße oder fehlende Anlei-

tung. Durch geschicktes didaktisches Vorgehen in den

Schulungen können zwar nicht alle Mängel im Bewe-

gungsverhalten beeinflusst, aber Möglichkeiten zur Ver-

änderung des Bewegungsverhaltens angeboten werden.

Durch regelmäßig durchgeführte Schulungen können die

TeilnehmerInnen außerdem für ihre eigene Gesundheits-

verantwortung sensibilisiert werden.

In der Beratung zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung und der

betrieblichen Gesundheitsförderung begegnen wir Personen in ihren

Arbeitswelten und können beobachten, wie sie sich physisch und

psychisch überlasten. In der Arbeitsmedizin verfolgt man seit jeher die

geschlechterspezifische Maßnahmenplanung und Risikoeinschätzung.