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Spätestens seit der parlamentarischen Anfrage

vom Februar 2015 ist weitgehend bekannt, dass

es sich bei der Station C3 um die einzige Behin-

dertenpsychiatrie Österreichs handelt. Im Pavillon

C am Rosenhügel (KH Hietzing in Wien) werden

Erwachsene mit Dualdiagnosen, das heißt mit

primärer Intelligenzminderung und einer psychi-

atrischen Diagnose betreut.

Herausforderungen für die Physiotherapie

Bei vielen PatientInnen ist zum Zeitpunkt der

Zuweisung noch nicht klar, was hinter dem ver-

änderten Verhalten steckt, das zur Aufnahme

geführt hat. Es können daher im interdisziplinären

Team noch keine Behandlungsziele definiert

werden und der physiotherapeutische Prozess

gestaltet sich anders als gewöhnlich. Häufig steht

ein langwieriger Versuch der Kontaktaufnahme

am Beginn der Behandlung, bevor überhaupt an

Befund, Festlegen von Behandlungszielen und die

Auswahl von geeigneten Maßnahmen zu denken

ist. Die Bandbreite der intellektuellen und motori-

schen Fähigkeiten der PatientInnen auf C3 ist

groß, sodass von der reinen Beobachtung als

Befundinstrument bis zum Einsatz der Berg

Balance Scale vieles möglich ist.

Bei einem Großteil unserer PatientInnen steht die

Bewegung an sich im Vordergrund. Für manche

der AutistInnen ist es eine Leistung, die Station

zu verlassen, um mit den Therapeutinnen in den

Bewegungs- oder Behandlungsraum zu gehen,

ohne sich dort in eine schützende Ecke zurück-

zuziehen. Den Körper in Bewegung zu erleben,

Stiegen zu steigen oder die Strecke von einer

Seite des Ganges auf die andere im aufrechten

Gang und nicht auf Knien zurückzulegen, erfordert

Mut und Geduld von beiden Seiten.

Am anderen Ende des Spektrums stehen z. B.

PatientInnen, die in betreuten Wohneinheiten

leben und dort gestürzt sind und lange gelegen

haben. Die Kombination von einem post fall

Syndrom mit sacralem Decubitus, einer intellek-

tuellen Behinderung und Schmerzen stellt eine

denkbar schlechte Ausgangsposition dar.

Die Arbeit auf C3, der einzigen Behinderten-

psychiatrie in Österreich, stellt Physio-

therapeutInnen vor Herausforderungen.

Der Fachbereich ist jedoch auch sehr

lohnend. Ein Bericht aus der Praxis.

PSYCHIATRIE

Eva Müllauer

Dr. Barbara Hess,

stationsführende Ärztin,

im Gespräch

Was ist das Besondere an C3?

C3 ist eine Orchidee für alles! Die PatientInnen kommen

mit sehr bunten, vielfältigen Diagnosen. Sie kommen auf

die Psychiatrie, da sie ihre somatischen Beschwerden

mit psychiatrischen Symptomen anzeigen z. B. mit

Schreiattacken, Schlafstörungen, Auto- und Fremdag-

gression usw. Die Ursachen für dieses Verhalten können

Zahnschmerzen, Koliken, übersehene Frakturen, maligne

Erkrankungen, Katarakt und vieles andere mehr sein. Wir

behandeln Behinderte mit psychiatrischen Diagnosen

oder Symptomen. Die Intelligenzminderung an sich ist

laut ICD10 bereits eine psychiatrische Diagnose.

Viele PatientInnen sind nonverbal und befinden sich in

der emotionalen Reife durchschnittlich auf dem Entwick-

lungsstand von Zwei- bis Sechsjährigen, was eine sehr

komplexe Herangehensweise erfordert. Die Mehrheit

der PatientInnen ist besachwaltet, meist fremdbetreut

und hat Eltern mit einem langen Leidensweg, die mitbe-

treut werden.

Was sind die Erwartungen und Wünsche

an die Physiotherapie? Wie sieht die Rolle der

Physiotherapie aus?

Ich erwarte eine individuelle, offene Herangehensweise

an die PatientInnen, da oft der Auftrag noch nicht klar

ist. Physiotherapie ist für mich der Schlüssel zum Ken-

nenlernen des Körpers und seiner Funktionen. Oft ist die

Wahrnehmung eingeschränkt, die PatientInnen trauen

sich vieles nicht (mehr) zu. Physiotherapie ist auch der

Schlüssel zum Heranführen an ein wieder „bewegtes“

Leben z. B. alleine aufstehen, gehen, Stiegen steigen,

Ballspielen usw. Besonderen Stellenwert hat auch die

Gruppentherapie, wo sich die PatientInnen voneinander

etwas abschauen können und Vertrautes wiedererken-

nen, annehmen und dann umsetzen lernen. Als ideal be-

trachte ich eine Kooperation im Gruppensetting z. B.

Physiotherapie und Musiktherapie in einer Tanzgruppe.

Auch die Rehabilitation von PatientInnen z. B. nach

einem post fall Syndrom findet auf C3 statt.

»PHYSIOTHERAPIE IST FÜR

MICH DER SCHLÜSSEL ZUM

KENNENLERNEN DES KÖRPERS

UND SEINER FUNKTIONEN.«

Dr. Barbara Hess

physio

austria

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Dezember 2015

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