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physio

austria

inform

April 2017

Bewegendes

Die Arbeit war mit Sicherheit in jeglicher Hinsicht eine

große Herausforderung für mich, jedoch konnte ich viel

Erfahrung sammeln. Stark in Erinnerung geblieben ist

mir das Schicksal der kleinen Fatma: Das sieben Jahre

alte Mädchen, dessen Haut zu etwa 50 Prozent

verbrannt war, habe ich gleich an meinem ersten

Arbeitstag auf der Kinderstation kennengelernt und

sofort in mein Herz geschlossen. Fatma verbrachte

mehrere Monate alleine im Krankenhaus. In ihrem

Alltag war meine Therapieeinheit ein Highlight. Sie

öffnete sich mir gegenüber, lachte und durfte spielen.

In der Therapie konnte sie gute Fortschritte erzielen.

Ich wurde Zeugin des Vorgangs, wie der jungen

Patientin die Verbände gewechselt wurden. Pflege-

personen versorgten die Wunden kaum und somit

wuchsen die Verbände mit der Haut zusammen.

Die ohne Betäubung, bei vollem Bewusstsein durch-

geführte Entfernung der Verbände brachte das

Mädchen zum Weinen. Als Bestrafung setzte es eine

Ohrfeige. Es war nicht leicht, tatenlos zuzusehen.

Menschen mit Behinderung sind für die Familien eine

große Belastung und bedeuten viel Arbeit, da es keine

staatliche Unterstützung gibt. Rollstühle oder andere

Hilfsmittel sind unbezahlbar. PatientInnen sind auf alte,

aussortierte Hilfsmittel aus Europa und Amerika ange-

wiesen. Diese kommen einmal pro Halbjahr per Schiff

und werden dann an die Familien verschenkt. Lang-

jährige PatientInnen schätzen die Arbeit der Physio-

therapeutInnen sehr und sind dankbar für die Hilfe –

in ländlichen Gebieten ist diese Art der Therapieform

kaum bekannt. Eine Einheit Physiotherapie kostet

15 TSH, das entspricht nicht einmal einem Euro-Cent.

Eine kurze, einfache Fahrt mit dem Verkehrsmittel

Daladala kostet hingegen schon 30 TSH. Viele

PatientInnen können sich den Transport zur Therapie

leider nicht leisten.

Herausforderungen

In meiner Freizeit habe ich die gesamte Insel mehrfach

bereist und unzählige Ausflüge gemacht. Zanzibar

besitzt wundervolle Strände, kleine Inseln, Regenwäl-

der, Gewürzplantagen und eine artenreiche Tierwelt.

Für Touristen gibt es hier einiges zu sehen. Meine

Wochenenden habe ich oft in Hotels auf der Insel

verbracht, da die Strände auf Zanzibar öffentlich zu-

gänglich sind und man sich als Frau dort nicht zeigen

darf. Ich musste also auf Hotels ausweichen. Dort war

es auch erlaubt, Bademode zu tragen, und ich fühlte

mich wohl.

Nicht das Essen oder die Mücken stellten die größte

Herausforderung für mich dar. Vielmehr waren es die

anders geprägte Kultur und der strenge muslimische

Glaube, der mir mein Äußerstes abverlangte. Als allein

reisende, weiße, blonde und unverheiratete Frau war

ich eine Rarität. Meist wurde ich nur Mzungu (»Weiße«)

genannt und auch so vorgestellt. Einige PatientInnen

wollten sich von mir nicht behandeln lassen, weil ich

weiß war, andere wollten hingegen nur von mir behan-

delt werden. So manch ein Kind schien Angst vor mir

zu haben. Mir ist es sehr schwer gefallen, Freundschaf-

ten zu knüpfen. Zanzibaris sind zwar mittlerweile an

Touristen gewöhnt und offen diesen gegenüber – und

doch wurde ich mehr toleriert als akzeptiert. Immer

wieder wurde ich von Fremden wegen meiner Religion

angesprochen und kritisiert. Mitarbeiter des Kranken-

hauses oder auch fremde Menschen auf der Straße

versuchten, mich vom Islam und dem Kopftuch zu

überzeugen. Mit diesen Situationen musste ich lernen

umzugehen, auch wenn sie die Grenze zur Privatsphäre

deutlich überschritten. Würde ich, jetzt auf die Zeit

zurückblickend, wieder ein Auslandssemester in Zanzi-

bar machen? Ja, das würde ich. Die dort gesammelte

Erfahrung will ich nicht missen. Ich kann jedem und

jeder Interessierten nur empfehlen, sich auf derartige

Abenteuer einzulassen.

»EINIGE PATIENTiNNEN WOLLTEN SICH

VON MIR NICHT BEHANDELN LASSEN,

WEIL ICH WEISS WAR, ANDERE WOLLTEN

HINGEGEN NUR VON MIR BEHANDELT

WERDEN.«

Themenschwerpunkt

Multikulturalität in der Physiotherapie

ERFAHRUNGSWERTE

Manuela Treppler, BSc