physio
austria
inform
Februar 2017
11
Diskriminierungsfreie Sprache
Eine besondere Bedeutung bei der Umsetzung der
Behindertenrechtskonvention kommt einer diskriminie-
rungsfreien Sprache zu. Menschen haben Beeinträchti-
gungen – so wie jeder und jede bestimmte persönliche
Eigenschaften hat. Die Bezeichnung als »Behinderter«
oder »Blinder« würde die Person auf eine bestimmte
Eigenschaft reduzieren und ist daher abzulehnen.
Man spricht daher heute z. B. von Menschen mit
Mobilitäts- oder Sinnesbeeinträchtigungen, mit Lern-
schwierigkeiten oder psychosozialen Beeinträchtigun-
gen. Der Begriff »taub« oder gar »taubstumm« wird
von Menschen mit Gehörlosigkeit als diskriminierend
empfunden, da für sie ja lediglich die Lautsprache
eingeschränkt nutzbar ist. Oft sind Menschen mit Be-
hinderungen Menschen mit chronischen Erkrankungen.
Auch hier ist Sensibilität gefragt. So haben etwa im
Rahmen der Entwicklung der Demenzstrategie Betrof-
fene darauf hingewiesen, dass sie als Menschen mit
demenziellen Beeinträchtigungen bezeichnet werden
wollen und nicht als Menschen mit Demenz.
Selbstbestimmung und Empowerment
Auch heute noch ist das Leben von Menschen mit
Behinderungen viel zu oft fremdbestimmt. Nach wie vor
sind nicht nur vielerlei Barrieren allgegenwärtig, auch
das Fehlen von persönlicher Assistenz in vielen Be-
reichen und ausreichende ökonomische Möglichkeiten
nötigen Menschen mit Behinderungen noch immer in
vielfache Abhängigkeiten. Selbstbestimmung bedeutet
demgegenüber, Kontrolle und Entscheidungsautonomie
über das eigene Leben zu haben. Voraussetzung dafür
ist die Wahl zwischen akzeptablen Möglichkeiten.
Empowerment ist einerseits der Prozess der Selbst-
bemächtigung, um das lebensgeschichtlich bedingte
Gefühl der Macht- und Einflusslosigkeit zu überwinden,
eigene Ressourcen zu entdecken und Handlungsspiel-
räume in Anspruch zu nehmen. Andererseits beschreibt
Empowerment auch die professionelle Unterstützung
hierbei und umfasst die gemeinsame Entwicklung von
Maßnahmen und Strategien dazu.
Gerade im Kontext von Rehabilitation kommt Physio-
therapie dabei eine zentrale Rolle zu, was viel Sensi-
bilität und die unbedingte Achtung der Würde von
Menschen mit Behinderungen erfordert. Dazu kommt,
dass Physiotherapie auch in der psychosozialen Rehabi-
litation zunehmend an Bedeutung gewinnt. Darüber
hinaus gehören immer mehr Menschen mit chronischen
Erkrankungen der Gruppe der Menschen mit Behinde-
rungen an.
Die Grundhaltung des Empowerment in der professio-
nellen Begleitung bedeutet, dass die zukunftsorientierte
Unterstützung der Selbstbestimmung im Fokus steht.
Dazu gehören Respekt, das Schaffen von Wahlmöglich-
keiten und das Überlassen der »Chefposition« über
Dienstleistungen, wie es auch die Physiotherapie ist.
Voraussetzungen für das Gelingen ist die Wahrnehmung
des Selbstbestimmungsrechtes, das Vertrauen in die
Fähigkeiten, die Akzeptanz von Eigenheiten und un-
konventionellen Lebensentwürfen, der Verzicht auf ent-
mündigende ExpertInnenurteile und die Anerkennung
von Misserfolgen oder Fehlentscheidungen.
Wenn chronische Erkrankungen oder Behinderungen
mit oft chronischen Schmerzen, langen Krankenhaus-
oder Rehabilitationsmaßnahmen verbunden sind,
kommt der Grundhaltung des Empowerment besondere
Bedeutung für einen Therapieerfolg auch in der Physio-
therapie zu. Denn durch diese oft prägenden Erfahrun-
gen wird der achtsame Umgang mit dem eigenen
Körper erschwert und kann am besten durch eine
Grundhaltung des Empowerment der TherapeutInnen
gefördert werden.
Inklusion statt Integration
Ziel der Behindertenrechtskonvention ist eine inklusive
Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen
vollständig gleichberechtigt teilhaben können. Das soll
durch umfassende Barrierefreiheit und stark individuali-
sierte Unterstützung möglich werden. Anders als beim
Ansatz der Integration, welche die Anpassung des
Individuums an das Umfeld forderte, geht es bei Inklu-
sion um die Anpassung des Gesellschaftssystems an
die Vielfalt der Menschen mit Behinderungen.
Partizipation leben
Ein Prozess der Partizipation soll das möglich machen,
indem Menschen mit Behinderungen aktiv einbezogen
und zur Mitbestimmung eingeladen werden, um ihre
Sichtweisen, Anliegen und Forderungen in einem
wertschätzenden Rahmen gestaltend einzubringen.
Die Einladung, diesen Beitrag aus der Sicht der Men-
schen mit Behinderungen zu verfassen, ist ein Schritt
in diese Richtung. An einer fachlichen Diskussion, wie
menschenrechtliche Aspekte, Barrierefreiheit und
Empowerment in der physiotherapeutischen Praxis
noch besser umgesetzt werden können, wären im
Sinne der Behindertenrechtskonvention Menschen
mit Behinderungen partizipativ zu beteiligen.
In diesem Sinne danke ich namens der ÖAR-Dach-
organisation der Behindertenverbände Österreichs
für die Einladung, diesen Artikel zu verfassen.
䡧
VERSTÄNDNISFRAGE
Mag. Eringard Kaufmann, MSc
LITERATUR
Firlinger, B. (2013).
Buch der Begriffe – Sprache,
Behinderung, Integration;
Herausgegeben von Integration
Österreich, © Bmsg; online
verfügbar:
http://bidok.uibk.ac.at/Bindreiter, I. (2010).
Empowerment für Menschen
mit Beeinträchtigungen – ein
Konzept und seine Umsetzung
im deutschsprachigen Raum
(Bachelorarbeit, Universität
Salzburg); online verfügbar:
http://bidok.uibk.ac.at/