TABELLE
Faktor/Frage
AUSGEWÄHLTE ASSESSMENTS/ÜBERLEGUNGEN
Was soll gemessen werden?
Körperfunktion/
Motricity Index, Trunk Control Test,
-struktur
Brunel Skala, BBS, BESTest
Aktivität/Partizipation Barthel Index, Trunk Control Test, TUG, BBS,
10m-Gehtest, Brunel Skala, BESTest,
Stroke Impact Scale, Falls Efficacy Scale
Ziel der Messung
Diskrimination
TUG (Stürzende/Nicht-Stürzende)
Prognose
BBS, Trunk Control Test
Evaluation
BBS, 10-Meter-Gehtest, BESTest
Art des Messinstruments
generell
Barthel Index, Trunk Control Test, BBS, TUG,
10m-Gehtest, Falls Efficacy Scale, BESTest
krankheitsspezifisch Stroke Impact Scale, Brunel Skala
beobachtungsbasiert
Motricity Index, Barthel Index, Trunk Control
Test, Brunel Skala, TUG, BBS, 10m-Gehtest,
BESTest
Selbstevaluation
Stroke Impact Scale, Falls Efficacy Scale
Gütekriterien
Objektivität
Validität
Reliabilität
PatientInnen und institutionelle Faktoren
Institution
Barthel Index
PatientIn
Konzentration auf Assessments der Aktivitäts-/
Partizipationsebene aufgrund des subakuten
Stadiums und Assessments bezogen auf
subjektives Hauptproblem (Frau F.’s Mobilität)
Machbarkeit & Praktikabilität
(Durchführungs-)Zeit
Barthel Index, Trunk Control Test, Motricity
Index, TUG & 10m-Gehtest: wenige Minuten
BBS: 15–20 Minuten
BESTest: 35–40 Min (Kurzversionen vorhanden)
Stroke Impact Scale: 15–20 Min
Falls Efficacy Scale: 10–15 Min
Brunel Skala: 6–30 Min
Raum
Reha-Zentrum: wahrscheinlich keine
Einschränkung; im Hausbesuchs-Setting ev.
Schwierigkeit, 10m-Gehtest durchzuführen
Material
TUG & 10m-Gehtest: Stoppuhr
BBS: Stoppuhr, Stufe, Maßband, Gegenstand,
der vom Boden aufgehoben wird
BESTest: Maßband, Tempurkissen, Rampe,
Stufe, 2,5-Kilo-Hantel, Schuhkarton, Stoppuhr
Brunel Skala: Stoppuhr, Maßband, Stufe
Training
Kein spezielles/offizielles Training
für angeführte Tests erforderlich
Kosten
Alle erwähnten Assessments kostenlos
Sprache
Alle erwähnten Assessments (bis auf BESTest
und Brunel Skala) in deutscher Sprache
verfügbar
physio
austria
inform
Dezember 2016
11
ANWENDUNGSBEISPIEL
Frau F. ist 65 Jahre alt und hatte vor sechs Wochen
einen ischämischen Insult mit daraus resultierender
Hemiparese links, ohne neuropsychologische Störun-
gen. Sie lebt in einer Wohnung im dritten Stock mit
Aufzug. Den Rollstuhl wird sie in der Wohnung nutzen
können. Sie muss allerdings einige Schritte sicher
gehen können, da die Bad-Benutzung mit dem Rollstuhl
nicht möglich ist. Frau F. befindet sich in einem Rehabi-
litationszentrum. Aktuell kann sie in Begleitung alleine
aufstehen und stehen, braucht beim Gehen von etwa
20 Meter langen Strecken teilweise Sicherung am Be-
cken und am Knie. Das subjektive Hauptproblem sieht
Frau F. in ihrer Mobilität, vor allem in der Gehfähigkeit.
Vor der Entlassung nach Hause muss abgeklärt werden,
ob Frau F. sturzgefährdet ist.
Im Reha-Zentrum wird der Barthel Index ermittelt,
der jedoch zu wenig Information für eine konkrete
Therapieplanung oder -empfehlung bietet. Folgende
Assessments werden daher nun im Rahmen der physio-
therapeutischen Untersuchung, die auch nicht standar-
disierte Elemente enthält, in Erwägung gezogen:
Auf der Ebene der Körperfunktion und -struktur bietet
sich der Motricity Index und die BBS an. Der Motricity
Index erfasst die Kraft der unteren und oberen Extremi-
tät; die BBS erfasst die Balancefähigkeit und gibt Aus-
kunft über die Sturzgefährdung. Auf der Ebene der
Aktivität und Partizipation erwägt die Physiotherapeutin
den TUG und die BBS, die zusätzlich zum Konstrukt
Balance auch Aktivitäten wie Aufstehen oder Drehen
erfassen. Später im Rehabilitationsverlauf könnte der
10m-Gehtest oder der BESTest hinzugefügt werden.
Diese Assessments können aufgrund des funktionellen
Niveaus von Frau F. im Moment noch nicht verwendet
werden. Für Informationen zum Hauptproblem aus
Sicht der Patientin ergänzt die Therapeutin die Test-
batterie mit der Falls Efficacy Scale, welche die Sturz-
angst erhebt. Die Stroke Impact Scale könnte einge-
setzt werden, um die subjektiven Auswirkungen des
Schlaganfalls auf Alltagsaktivitäten und Partizipation
zu erfassen.
Würde Frau F. noch minimal bis mittlere Hilfe beim
Lagewechsel, Transfer und Sitzen benötigen, hätte die
Physiotherapeutin eine geringere Auswahl an Assess-
ments zur Verfügung: Unter anderem würden sich der
Trunk Control Test oder die Brunel Skala anbieten; die
Brunel Skala ist allerdings nicht auf Deutsch validiert.
Zusätzliche neuropsychologische Störungen würden
die Auswahl weiter einschränken, da viele Assessments
für diese PatientInnengruppen nicht validiert sind.
Assessments und deren Auswahl sind Teil des Clinical
Reasonings in der täglichen Praxis. Um Assessments
regelmäßig anzuwenden, braucht es zum einen Ver-
änderungen der Rahmenbedingungen – das heißt:
eine Anrechnung der Assessment-Durchführung als
Leistung – und zum anderen eine aufgeschlossene
Haltung der PhysiotherapeutenInnen, da die tägliche
Routine verändert werden muss. Von Seiten der
Wissenschaft braucht es weitere Schritte, um auch für
PatientInnen mit komplexen Störungen valide Assess-
ments zu entwickeln. Durch eine regelmäßige An-
wendung von Assessments könnten wir als Physiothe-
rapeutInnen einen wertvollen und notwendigen Beitrag
zur evidenzbasierten PatientInnenversorgung leisten.
PRAXIS
Gudrun Diermayr, MA PhD, Andrea Greisberger, MSc
Wird von allen genannten Assessments
auf relativ hohem Niveau erfüllt