

Andrea Sturm
Vor 21 Jahren erfuhr ich am eigenen Leib, was es heißt,
plötzlich psychisch zu erkranken. Ein massiver Übergriff
meines damaligen Vorgesetzen löste bei mir eine
psychotische Dekompensation aus: schweres Angst-
erleben, inhaltliche Denk- und Aufmerksamkeitsstörungen,
emotionale Inkontinenz sowie Depersonalisationserleben
waren die verheerenden Folgen. Doch mir war in dieser
schwierigen Zeit eines klar: Ich würde den Platz, der damals
Menschen mit psychischen Erkrankungen gesellschaftlich
zugewiesen wurde, nicht akzeptieren. Ich entschied, keine
Medikamente zu nehmen, sondern u. a. körpertherapeuti-
sche Maßnahmen zu ergreifen. Mit Erfolg: Sechs Jahre
nach dem Ereignis begann ich meine Ausbildung zur
Physiotherapeutin in Köln. Drei Jahre später beendete ich
diese als eine der drei Besten von 90 AbsolventInnen.
Zuschreibungen und Phrasen wie »nicht heilbar«, »nicht be-
lastbar« oder gar »gefährlich« diskriminieren und belasten
Betroffene. Ein Stigma, vergesellschaftet mit Scham und
Ausgrenzung, begleitet auch heute zum Teil noch mentale
Erkrankungen. Betroffenen und Behandelnden möchte ich
Mut machen, die Hoffnung nicht aufzugeben. Ich sehe es
als Verpflichtung an, zu einem besseren Verständnis solcher
Erkrankungen beizutragen. Nichts ist aussichtlos, volle Be-
lastbarkeit erreichbar. Ich arbeite seit Jahren mit Schwerbe-
troffenen in der Neurologie und Pädiatrie und entwickle
gerade mein Dissertationsprojekt. Die Salzburger Nachrich-
ten stellten meinen Lebensweg ihrer Leserschaft vor, wo-
raufhin mich Zuschriften von LeserInnen erreichten, die
neue Zuversicht schöpften durch meine geteilte Erfahrung.
Verständnis führt zu mehr Erfolg als Ausgrenzung.
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PERSÖNLICHES
physio
austria
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September 2017
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