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physio

austria

inform

September 2017

Themenschwerpunkt

Mental Health und Physiotherapie

Sensibles Arbeiten

und Kommunizieren

Mental Health und palliative Physiotherapie

Die Aufgabe von PhysiotherapeutInnen in der

Behandlung von PalliativpatientInnen besteht vor-

wiegend in der Symptomkontrolle und Symptom-

linderung von Schmerz, Atemnot, Obstipation,

Fatigue oder Lymphödemen. Die meisten Palliativ-

patientInnen sind auf Palliativstationen mit onko-

logischen Diagnosen und zu 80 Prozent in der

Regelversorgung (Abteilungen der Pulmologie,

Neurologie, Kardiologie, in Pflegeheimen oder

zu Hause) zu finden.

Viele der angewandten Techniken und Methoden

gehen mit Berührung einher. Auch in der Gesprächs-

situation ist es durchaus üblich, eine Hand auf die

Hand oder Schulter der PatientInnen zu legen,

um die Verbundenheit mit und Konzentration auf

die Schwerstkranken spürbar zu machen.

Manchmal stößt dieses Vorgehen jedoch auf

Abwehr – auch darauf muss man als Physiothera-

peutIn vorbereitet sein: Nicht jedeR PatientIn toleriert

Berührung. PhysiotherapeutInnen in der Palliative

Care gehen sensibel mit diesem Wissen um.

Depressionen bei PalliativpatientInnen sind nicht

selten und werden häufig medikamentös und psycho-

therapeutisch behandelt. Weitere mit dem Bereich

der Mental Health verwandte Beeinträchtigungen

sind oft nicht ausreichend bekannt. Die gut gemeinte

empathische Berührung wird für die/den PatientIn

plötzlich zum zusätzlichen, unangenehmen Erlebnis.

Hier reicht es manchmal, ein Tuch zu verwenden,

um aus der Berührung, die mit vermeintlich nicht

erträglichem, direktem Körperkontakt einhergeht,

auch eine annehmbare zu machen. Bleiben wir

empathisch!

Einen wesentlichen Teil der physiotherapeutischen

Behandlung macht die adäquate Kommunikation

und Gesprächsbereitschaft aus, die von »nur

zuhören« bis »miteinander lachen« reichen kann.

Menschen mit mentaler Retardierung

PhysiotherapeutInnen kommen auch mit Menschen mit

mentaler Retardierung in Kontakt, die entweder Angehö-

rige schwerstkranker, älterer Menschen sind, die im

Hausbesuch betreut werden, oder selbst lebensbedrohlich

erkrankt und stationär aufgenommen sind. Von Ange-

hörigen werden durchaus auch Fragen gestellt, die den

Tod betreffen, und Ängste ausgedrückt. Das kann eine

große Herausforderung für PhysiotherapeutInnen sein.

Es lohnt sich, als behandelnde PhysiotherapeutInnen

darüber nachzudenken, was wir in der Situation des

Angehörigen tun und fühlen würden.

Die Behandlung von schwerstkranken Menschen mit

mentaler Retardierung oder das Anwenden von Assess-

ments sind oft nur eingeschränkt möglich, vor allem,

wenn sie nonverbal sind. Eine entsprechende Gesichts-

schmerzskala kann hilfreich sein: Das genaue Beobachten

jeglicher Veränderung und das Verständnis dafür, dass

fremdaggressives Verhalten durch Schmerz oder Angst

ausgelöst sein kann, sind nötig. Unserem Tun sind

Grenzen gesetzt. Halten wir es mit Cicely Saunders:

»You matter because you are you. You matter to the last

moment of your life, and we will do all we can, not only

to help you die peacefully, but also to live until you die.«

Palliative Care bedeutet, sich als PhysiotherapeutIn auch

mit der mentalen Gesundheit auseinanderzusetzen –

mit der eigenen und jener der betreuten PatientInnen.

»EINEN WESENTLICHEN TEIL

DER PHYSIOTHERAPEUTISCHEN

BEHANDLUNG NIMMT DIE

ADÄQUATE KOMMUNIKATION

UND GESPRÄCHSBEREIT-

SCHAFT EIN.«