inform_Nr3_Juni2013 - page 8

Bleibt die Denk- und Handlungsstruktur
des physiotherapeutischen Prozesses
auch vor einem arbeitsmedizinischen
Hintergrund bestehen?
Ja, die Denk- und Handlungsstruktur des
physiotherapeutischen Prozesses bleibt
auch vor einem arbeitsmedizinischen Hinter-
grund bestehen. Die Leitfragen zu den defi-
nierten Phasen des physiotherapeutischen
Prozesses können jedoch mit dem Fokus auf
die Erwerbstätigkeit des/r KlientIn und
seine/ihre Arbeitsumfeldbedingungen
variieren. Je nach Art des Auftrags kann sich
die physiotherapeutische Intervention auf
die individuelle Problematik einer erwerbs-
tätigen Person beziehen oder auf Belas-
tungsfaktoren einer Arbeitssituation, die
mehrere Personen betrifft.
°
Eine Person mit ihrer individuellen
Problematik steht im Vordergrund der
physiotherapeutischen Intervention:
Eine gezielte Analyse arbeitsbedingter
Belastungsfaktoren in Abhängigkeit zu
den individuellen Ressourcen ist mög-
lich. Behandlungsmaßnahmen können
in Art und Dosierung an die Bedürfnisse
einer Person angepasst werden.
Die Anleitung und korrigierende Beglei-
tung der Person in der Umsetzung der
Maßnahmen erfolgt im Rahmen intensi-
ver Einzelsettings.
Maßnahmen, die eine Veränderung der
Rahmenbedingungen erfordern, sind
nur bedingt umsetzbar.
°
Eine Personengruppe im Umfeld ihrer ge-
meinsamen Arbeitsbedingungen soll
physiotherapeutisch betreut werden:
Die Analyse der Belastungsfaktoren
stützt sich auf allgemeine Parameter, die
durch die Tätigkeit oder die Rahmenbe-
dingungen am Arbeitsplatz auftreten.
Bei der Auswahl der Behandlungsmaß-
nahmen muss auf deren Umsetzbarkeit
in der Gruppe Rücksicht genommen wer-
den.
Bei der Dosierung der Maßnahmen kann
nur bedingt auf die individuellen Res-
sourcen der einzelnen Personen einge-
gangen werden.
Die Umsetzung von Maßnahmen, die
eine Veränderung der Rahmenbedingun-
gen erfordern, ist ökonomischer, weil sie
die Arbeitssituation einer ganzen Gruppe
verbessern.
Welche Arbeitsschritte müssen den
physiotherapeutischen Prozess in der
Arbeitsmedizin ergänzen?
Der physiotherapeutische Prozess in der
Arbeitsmedizin enthält keine zusätzlichen
Arbeitsschritte. Durch den Fokus auf die
Erwerbstätigkeit der KlientInnen müssen
jedoch in der Problemidentifzierungsphase
und in der Planungsphase spezielle arbeits-
medizinische Aspekte ergänzt werden.
Folgende Leitfragen in der Problemidenti-
fizierungsphase sind dabei relevant:
°
Von wem geht die Initiative zur physio-
therapeutischen Intervention aus?
(Unternehmen, Klient oder Klientin,
Arbeitsinspektorat, …)
°
Wie gestalten sich die Rahmenbedingun-
gen? (Budget für die physiotherapeuti-
sche Intervention, Zeitrahmen,
gesetzliche Bestimmungen, …)
°
Welche Problemstellung steht für das
Unternehmen im Vordergrund? (Auflagen
des Gesetzgebers/der Gesetzgeberin,
hohe/zunehmende Zahl an Kranken-
standstagen, Motivationslage des
Personals, …)
°
Welche Problemstellungen stehen für
die KlientInnen im Vordergrund?
(Ermüdungserscheinungen, Funktions-
einschränkungen, Stress, Angst vor
Verlust des Arbeitsplatzes, …)
°
Welche Umfeldbedingungen beeinflus-
sen die physiotherapeutische Interven-
tion? (Anzahl der KlientInnen, mit denen
gearbeitet wird, Organisationsstrukturen,
Arbeitsabläufe, Art der Arbeitsplätze,
vorhandene/verwendete Hilfsmittel,
nutzbare Räumlichkeiten, Sicherheits-
bestimmungen …)
°
Welche Erwartungen hat die/der Auf-
traggeberIn (und welche davon sind rea-
listisch)? (Nachhaltige Reduzierung von
Belastungsfaktoren, Verbesserung indivi-
dueller Ressourcen, …)
°
Welche Analyseparameter ersetzen die
individuelle physische Untersuchung?
(Quantitative und qualitative Belastungs-
parameter, Arbeitsplatzergonomie und
Verhaltensergonomie, Effektivität von
Erholungsphasen, …)
°
Für die physiotherapeutische Diagnose
in der Arbeitsmedizin werden individuelle
Ressourcen zu den Belastungsparame-
tern die aus Arbeitsaufgabe und Umfeld-
bedingungen resultieren, in Bezug
gesetzt.
Themenschwerpunkt
Arbeitsmedizin
8
physio
austria
inform
Juni 2013
1,2,3,4,5,6,7 9,10,11,12,13,14,15,16,17,18,...32
Powered by FlippingBook