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Februar 2012
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Alle wollen alt werden, aber keiner will alt sein. Das Bild
eines Greises, der bei seinen Verrichtungen des Alltags
auf Hilfe angewiesen ist, ein vielleicht noch wacher Geist
in einem zunehmend immobilen Körper, oder ein demen-
ter Mensch, der im Fortschritt der Krankheit zur Gefahr
für sich selbst wird – das sind Bilder, die man lieber nicht
sehen will. Das Alter, so zumindest die Zielvorstellung der
Generation der 68er, verbringt man aktiv – Reisen, Sport,
vielleicht sogar ein Marathon im Jahr der Pensionierung –
endlich befreit vom Mühsal der Arbeit – so soll es sein,
das Alter. Die Erwartungen an die Freizeit der Generation
70+ ist von einem behaglichen Lesenachmittag vor dem
gemütlichen Kachelofen einem deutlich aktiveren
Lebensstil gewichen. Dafür zu sorgen hat nicht zuletzt
das gesamte Spektrum der Medizin. Physiotherapie wird,
solange man sie nicht wirklich braucht, in diesem
Zusammenhang vielleicht eher noch als Hilfe bei einer
Sportverletzung gesehen, nicht jedoch als Hilfe beim
aktiven Altern.
Soweit zur Vorstellung, die für den einen oder anderen
von der Realität nicht so weit weg ist – von denen das
Gros der Menschen jedoch noch weit entfernt ist. Tatsa-
che ist jedoch, dass die Lebenserwartung steigt, nur be-
dingt jedoch der Grad der Gesundheit, in dem man das
Alter verbringt. Das Durchschnittsalter beträgt in der EU
heute gemäß einer Eurobarometer-Umfrage zum Thema
»Aktives Altern« 40 Jahre, 2060 wird es bei 47 Jahren
liegen. Die Zahl der über 65-jährigen wird sich dabei von
16 auf gut 30 Prozent fast verdoppeln. Ein Umdenken,
dass der möglichst lebenslange Erhalt der Gesundheit
keine Selbstverständlichkeit ist, sondern ein Zustand,
zu dem man selbst etwas beitragen kann (und muss)
hat offenbar noch nicht im ausreichenden Maß statt-
gefunden. Die Gesundheit machen Arzt/Ärztin und
TherapeutIn, so der Tenor. Auch die Werbung hat diese
Klischees (und auch den Wandel der Ansprüche) längst
für sich entdeckt. Spezielle Angebote für die ältere
Zielgruppe sind zwar noch nicht die Regel, dass diese
Generation oft eine lohnende Klientel ist, hat sich jedoch
langsam herumgesprochen.
2012 ist das »Europäischen Jahr für Aktives Altern und
Solidarität zwischen den Generationen« (EJAA). Es soll
»für die Herausforderungen und Chancen einer langlebi-
gen Gesellschaft sensibilisieren und die Vielfalt der Mög-
lichkeiten zur Bewältigung des Alter(n)s in seinen vielen
Dimensionen aufzeigen«, heißt es in der Ankündigung
dazu. Als Ziel nennt man dabei »die Schaffung einer
Kultur des Aktiven Alterns in Europa«. Die Förderung des
Aktiven Alterns bedeutet, laut den InitatorInnen bessere
Möglichkeiten zu schaffen, damit sich ältere Frauen und
Männer in den Arbeitsmarkt einbringen können; Armut,
insbesondere die Armut von Frauen, und soziale Aus-
grenzung zu bekämpfen; Ehrenamtliche/freiwillige
Tätigkeiten und eine aktive Teilhabe am sozialen und
gesellschaftlichen Leben zu fördern und Altern bei guter
Gesundheit und in Würde zu unterstützen. »Dies setzt
unter anderem voraus, dass die Arbeitsbedingungen an-
gepasst, negative Altersklischees und Altersdiskriminie-
rung bekämpft, die Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz verbessert, die Systeme des lebenslangen
Lernens an die Bedürfnisse älter werdender Arbeitneh-
merInnen angepasst werden, und dass für angemessene
Systeme des sozialen Schutzes gesorgt wird, welche die
richtigen Anreize schaffen.«
Soweit das Grundsatzpapier. Der Anreiz zu »guter Ge-
sundheit« ist in diesem Fall vor allem Prävention, die
einerseits politisch hinsichtlich einer hohen Lebens-
qualität wünschenswert ist, andererseits auch immer
noch billiger kommt als Pflege. Längeres Leben, das
bedeutet aber auch, dass längeres Arbeiten nicht nur
in den politischen Sonntagsreden sondern auch in der
Realität ankommen muss. Der Versuch, ältere Menschen
im Arbeitsprozess zu halten und nicht als sozial getarnte
Sparmaßnahme in Arbeitslosigkeit oder Invaliditätspen-
sion auszulagern, muss der Halbherzigkeit entrinnen,
wenn man nicht in der Zukunft noch viel radikalere
Maßnahmen zu setzten haben hat.
Vor allem die PhysiotherapeutInnen könnten einen
starken Beitrag leisten, die Arbeitsfähigkeit zu erhalten,
sofern das politisch gewünscht wird. Aber auch die
Unternehmensseite ist gefordert. Arbeitsplätze und -ver-
hältnisse, die die Bedürfnisse älterer Menschen berück-
sichtigen, sind heute die Ausnahme. Hier ist genau jene
Flexibilität auf Seiten der Unternehmen gefragt, die die
Wirtschaft sonst gerne von ihren ArbeitnehmerInnen
einfordert.
Dass die Menschen vermehrt bereit sind, auch selbst
in ihre Gesundheit zu investieren zeigen beispielsweise
die jüngsten Zahlen aus Deutschland. Dort wächst die
Fitness-Branche pro Jahr um etwa acht Prozent.
Branchenschätzungen gehen davon aus, dass die Zahl
der Menschen, die im Fitnessstudio trainieren, in naher
Zukunft von 7,3 auf 12 Millionen steigt.
AKTIVES ALTERN
Der
verdrängte letzte Akt
2012 ist das »Europäische Jahr des Aktiven Alterns«.
Während sich die meisten ein langes Leben wünschen wird der
Alterungsprozess vielfach verdrängt und die damit einhergehenden
Probleme in die ferne Zukunft verschoben. Dabei hat sich der
Anspruch, den die Menschen an ihre Gesundheit im Alter haben,
binnen einer Generation radikal verändert.
Bernhard Baumgartner, BA
Foto: fotolia© Gina Sanders
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