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Februar 2012
29
INFORM
Wieso tun wir uns so schwer mit der finalen
Lebensphase?
PÖLTNER
Es ist ein Faktum, dass der Tod
verdrängt wird. Eine Form der Verdrängung
ist, dass man ständig über ihn redet. Der Tod
hat ein Doppelgesicht: Einerseits geht von
ihm eine radikalisierte Bedrohung aus. Auf
der anderen Seite ist der Tod das, was uns
die Zeit erst kostbar macht. Auch die Philo-
sophie war immer todesfixiert. Der Tod ist ja
nicht ein Ereignis, das in unserem Leben ein-
tritt, sondern er beendet das Leben. Ich bin
davon überzeugt, dass wir den Tod deswe-
gen verdrängen, weil wir uns nicht bewusst
sind, dass der Mensch auch einen Anfang
hat. Einen Anfang haben heißt immer auch,
ermächtigt zu sein, dem Sinnvollen Raum zu
geben. Wir verdrängen den Tod weil es sein
könnte, dass der Abgrund von dem wir her
kommen, identisch ist mit dem Abgrund,
den wir den Tod nennen.
INFORM
Verdrängt wird aber auch die Phase vor dem
Tod, Krankheit, Verfall – das alles wollen wir
nicht sehen …
PÖLTNER
Genau. Aber es ist wichtig, uns auch
darauf einzustellen. Dank der modernen
Medizin ist das heute leichter. Denken Sie
an die Schmerzbekämpfung, die noch vor
30 Jahren ein großes Problem war. Mir fehlt
in dem Konnex der Begriff der Dankbarkeit.
Man kann es auch so sehen, dass man dank-
bar für die gesunde Zeit ist und nicht damit
hadert, wenn es damit vorbei ist. Wenn die
Dankbarkeit aus dem Leben verschwindet,
schiebt sich das Leistungsdenken an die
erste Stelle. Dabei spricht ja gar nichts
gegen Leistung, nur verabsolutieren darf
man sie nicht.
INFORM
Welchen philosophischen Text können
Sie in diesem Kontext empfehlen?
PÖLTNER
Einen alten Klassiker: Romano
Guardinis »Die Lebensalter«. Das ist sehr gut
geschrieben, nicht in einem unleserlichen
Fachjargon.
INFORM
Sie waren zehn Jahre in der Bioethik-
kommission. Ihre Bilanz?
PÖLTNER
Eine Kommission kann keine
Entscheidung abnehmen, die liegt immer
beim einzelnen. Zudem kann man über Ethik
nicht abstimmen. Die Aufgabe wäre es also,
alle relevanten Gesichtspunkte zu benennen,
unter denen man eine Handlung beurteilt,
also auch die Dimension derer, die davon
betroffen sind. Die Zusammensetzung der
Kommission ist in den letzten vier Jahren so
gewesen, dass man im Vorhinein hat wissen
können, was dabei herauskommt. Eine
etwas ausgewogenere Zusammensetzung
wäre wünschenswert gewesen.
INTERVIEW
Bernhard Baumgartner, BA
Foto: NÖ PPA
Univ. Prof. i. R. Dr. Günther Pöltner
begann nach seinem Klavierstudium
an der Akademie für Musik und
darstellende Kunst in Wien (mit
Auszeichnung) das Studium der
Philosophie, in welchen er 1967
sub auspiciis promovierte.
1981 wurde Pöltner Univ. Prof. für
Philosophie an der Universität Wien.
Er war lange Jahre Vorstand des
Instituts für Ethik und Recht in der
Medizin der Universität Wien und
Mitglied der Bioethikkommission.
Fotos: Helmut Wallner
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