inform_Nr5_Dezember2013 - page 8

und/oder -drangproblematik, was auf der
Basis der geänderten anatomischen Verhält-
nisse nachvollziehbar ist. Obstipation tritt als
Symptom auf, wird jedoch in Folge vermehr-
ter Pressmanöver in einigen Studien auch
als verursachender Faktor genannt.
Der Einfluss der Schwerkraft kann bei POP
sehr deutlich sein, sodass die Symptomatik
häufig in der zweiten Tageshälfte deutlicher
wird bzw. Entlastungsstellungen Linderung
bringen können. Die Wahl von geeigneten
Positionen kann auch eventuell vorhandene
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
reduzieren.
Als objektiver Befund wird von ÄrztInnen
häufig die Beurteilung der vorhandenen
passiven Fixierung der inneren Organe wäh-
rend des Valsalvamanövers herangezogen.
Mit dieser Testmethode, welche Aktivität des
Beckenbodens ausschließt, können Verbes-
serungen der aktiven Stabilisierung und im
Bereich der Muskulatur nicht unter Beweis
gestellt werden. Dies hat in der Vergangen-
heit auch dazu geführt, dass der Evidenzlevel
für Beckenbodentraining mit 2 eingestuft
wurde.
Im Überblick betrachtet kommen derzeit
vier verschiedene therapeutische Ansätze
zum Einsatz:
1
Operationen
Die Anzahl an verschiedenen Operations-
methoden ist sehr groß und ständig in
Weiterentwicklung begriffen. Generell wird
zwischen Operationen mit abdominellen und
vaginalem Zugang unterschieden. Zu den
»Klassikern« zählen die Raffung der vorderen
oder hinteren Scheidenwand (vordere oder
hintere Kolporraphie) und die Fixation der
Gebärmutter am Kreuzbein mittels Einbrin-
gung eines Kunststoffnetzes (Kolposakrope-
xie). In aktuellen Studien wird für Frauen die
Wahrscheinlichkeit sich im Lauf des Lebens
einer Operation unterziehen zu müssen mit
11% angegeben, wobei ca. ein Drittel der
operierten Patientinnen in den Folgejahren
eine zweite Operation benötigt.
2
Pessare
Bei der Pessartherapie werden ringförmige
oder würfelähnliche Kunststoffprodukte in
die Vagina eingeführt, die je nach Modell
und Selbstständigkeit der Patientin unter-
schiedliche Liegedauer haben. Stunden-
weises Tragen (bei sportlicher Belastung)
oder Verwendung während des Tages mit
Entfernung in der Nacht setzen gute Beweg-
lichkeit und Geschicklichkeit der Patientin
voraus, beim Fehlen dieser Voraussetzungen
gibt es auch die Möglichkeit einer langen
Liegedauer (mehrere Wochen bis Monate) in
Kombination mit regelmäßigen ärztlichen
Kontrollen. Obwohl die Pessartherapie häufig
und mit gutem Erfolg verwendet wird, gibt
es wenige Langzeitstudien, weshalb der
Evidenzlevel durch die ICS nur mit 2 einge-
stuft wird. Der Vergleich dieser Therapie-
option mit anderen Interventionen ist zurzeit
noch nicht vorhanden. Für die Auswahl
des richtigen Pessartyps stehen zwar viele
Studien, aber nur ein Randomised Controlled
Trial als Unterstützung zur Verfügung.
3
Beckenbodentraining
Diese Maßnahme ist aus Sicht der Physio-
therapie nach wie vor der wichtigste
Beitrag – mit oder ohne Unterstützung durch
Biofeedback oder Elektrotherapie. Nach
erfolgter Sicherstellung einer korrekten
Aktivierung ist neben der Kräftigung auch
der beckenbodenschonende, ergonomische
Umgang mit erhöhten intraabdominellen
Kräften, z.B. beim Husten und Tragen,
wesentlicher Teil der physiotherapeutischen
Intervention. Das Ziel ist eine Erhöhung von
Kraft, Ausdauer, Koordination und Funktion.
Gerade für die Verkleinerung der Levator-
öffnung (der Bereich zwischen den beiden
Puborectalismuskeln) ist eine Hypertrophie
des Muskels und die damit verbundene
Raumforderung als wertvoller Bestandteil
der Therapie zu sehen. Beckenbodentraining
ist als Maßnahme effektiv, wobei Studien zu
Langzeitergebnissen derzeit noch fehlen.
Für die Bewertung der Evidenz wurde bereits
2012 eine Änderung beschlossen, sodass
ab 2013 ein Level of Evidence 1 und Grade
of Recommendation A in den Richtlinien
der ICS zu finden sein werden.
4
Lifestyle Interventionen
Diese umfassen Reduktion des Bauchum-
fangs, Einschränkung von starker physischer
Belastung und Behandlung einer ev. vorhan-
denen Obstipation, sind jedoch derzeit noch
nicht mit Studien bezüglich ihrer Effektivität
untersucht. Auch zur häufig erwähnten
Verwendung von Hormonsalben finden sich
keine Empfehlungen, die durch Studien
belegt sind.
Themenschwerpunkt
Becken
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physio
austria
inform
Dezember 2013
Eine interessante Beobachtung ist, dass in
Langzeitstudien bei Patientinnen mit Stage I
auch ohne Therapie eine Verbesserung
gemessen werden konnte, die je nach
Lokalisation bei 22 – 48% lag. Bei den
Ausprägungsgraden II und III konnte eine
Reduktion nur mehr bei 0 – 9% der unter-
suchten Frauen beobachtet werden.
Eine 2013 publizierte Studie, die jedoch
nur an 37 Patientinnen durchgeführt wurde,
untersucht die Auswirkung einer POP-Opera-
tion auf den Beckenboden. Drei Monate
postoperativ zeigt sich eine Verbesserung
der EMG-Aktivität der Muskulatur im
Vergleich zur Aktivität vor der Operation.
Gemessen wurden die Parameter der MVC
(maximum voluntary contractrion) und kurze,
schnelle Kontraktion über einen Zeitraum
von 6 Sekunden. Die Patientinnen erhielten
kein Beckenbodentraining und nahmen auch
keine Veränderung der sportlichen Aktivitä-
ten im Vergleich zum Status vor der Opera-
tion vor.
Die naheliegende Fragestellung, ob sich
äquivalent dazu auch eine Verbesserung
der Muskelaktivität durch Verwendung eines
Pessars erreichen ließe, bzw. ob das Training
und der Einsatz der Beckenbodenmuskulatur
durch dessen Verwendung im Alltag eine
Steigerung erfahren können, ist aus heutiger
Sicht nicht beantwortbar, da diesbezügliche
Studien noch nicht vorliegen.
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