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Dezember 2013
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SENKUNGSZUSTÄNDE
Christine Stelzhammer, MEd
Pelvic Organ Prolaps (POP) ist der englische
Begriff für Senkungszustände der inneren
Organe des kleinen Beckens bei der Frau,
wobei der englische Sprachgebrauch nicht
zwischen Senkung und Prolaps, sondern nur
bezüglich des Ausprägungsgrades unter-
scheidet. Die international gebräuchliche
Definition des »fehlenden Supports für Ute-
rus, Blase, Colon und Rektum, der zu einem
Vorfall eines oder mehrerer dieser Organe in
die Vagina führt« findet sich auf der Home-
page der Internationalen Continence Society
(ICS), die eine große Anzahl an aktuellen und
gut recherchierten Informationen frei zu-
gänglich zur Verfügung stellt:
Für die Beurteilung des Ausprägungsgrades
gibt es mehrere Bewertungsschemen. Vor
allem im Forschungsbereich wird sehr häufig
die von der ICS erstellte, reliable Pelvic
Organ Prolaps Quantification (POP-Q) mit
einer Abstufung von Grad I – IV verwendet,
die von einer leichten Senkung bis zum
Totalprolaps reicht. Dabei wird die Vorwöl-
bung spezifischer Segmente der Vagina im
Verhältnis zum Fixpunkt Hymenring gemes-
sen, was jedoch noch keinen Rückschluss
auf Symptome zulässt. Bei diesem Test soll
die Frau ein »Valsalvamanöver« durchführen,
also den Atem anhalten und stark nach
unten pressen bei entspannter Beckenbo-
denmuskulatur, wodurch die ligamentäre
Sicherung der Organe des kleinen Beckens
unter Ausschaltung der Muskelaktivität des
Beckenbodens überprüft wird. Als Ergebnis
wird gemessen ob und wie stark eine Vor-
wölbung der vorderen oder hinteren Schei-
denwand, eine Absenkung der Cervix oder
des Scheidenstumpfes (nach Hysterektomie)
zu beobachten ist. In verschiedenen Studien
wird gleichlautend die vordere Scheiden-
wand als häufigste betroffene Struktur
genannt, gefolgt von der hinteren Scheiden-
wand und dem seltener betroffenen apicalen
Kompartment bzw. Scheidenstumpf.
Das Problem der Senkung hat eine lange
medizinische Geschichte: Schon ca. 1500
vor Christus beschrieben die Ägypter in dem
Kahun Papyrus das »Fallen der Gebärmut-
ter«. Aktuell liegt die Prävalenz von POP für
Frauen zwischen dem 20. und 59. Lebens-
jahr bei 31%, für Frauen zwischen dem
50. und 79. bei 41%, wobei nur ein geringer
Prozentsatz der Betroffenen eine starke
Senkung von Grad III und IV erleidet, hinge-
gen Senkungen I. und II. Grades weit ver-
breitetet sind und relativ beschwerdefrei
verlaufen können. Erwiesene Risikofaktoren
sind Alter, Anzahl der Schwangerschaften,
die Kraft der Beckenbodenmuskulatur und
ein hohes Geburtsgewicht des Kindes bzw.
der Kinder. In einigen Studien werden hohe
physische Belastung, chronischer Husten,
geringe Belastbarkeit des Bindegewebes,
vorangegangene Hysterektomie, großer
Bauchumfang sowie niedriger Bildungsstand
als Risikofaktor dargestellt. Es gibt jedoch
keinen sicheren Nachweis über negative
Auswirkungen von Übergewicht. Eine von
Braekken 2009 veröffentlichte Studie be-
schreibt einen signifikanten Unterschied in
Kraft, Ausdauer und Ruhetonus der Becken-
bodenmuskulatur zwischen Frauen mit POP
Stage II oder höher gegenüber Frauen mit
POP 0 oder I. DeLancey zeigte eindrucksvoll,
dass sowohl bei Harninkontinenz als auch
bei POP nach vaginalen Entbindungen das
Risiko mit jedem Kind ansteigt – jedoch
ist dieser Anstieg bei POP mehr als doppelt
so hoch!
Zu den Symptomen werden Schwere- oder
Druckgefühl, ziehende Schmerzen im Unter-
bauch, in der Leiste oder im unteren Rücken,
Hautirritationen und plötzliche Vorwölbung
bei Druckbelastung mit Fremdkörpergefühl
gezählt, sowie die Auswirkungen auf räum-
liche Lageveränderung von Harnröhre
(Cystocele) und Enddarm (Rektocele), die
sowohl mit Kontinenzproblemen als auch
mit Entleerungsstörungen einhergehen
können. Ca. 30 – 40 Prozent der Frauen
mit POP haben auch eine Harninkontinenz
Christine Stelzhammer, MEd
arbeitet an der Fachhoch-
schule Campus Wien und
ist darüber hinaus freiberuflich
tätig. Ihr fachlicher Schwer-
punkt liegt in der Inkontinenz-
therapie und den angrenzen-
den Fachbereichen. Sie ist
Vorstandsmitglied der Medizi-
nischen Kontinenzgesellschaft
Österreich und vertritt dort die
Sichtweise der Physiotherapie.
Christine Stelzhammer ist
Mitglied des fachlichen Netz-
werks Uro-Prokto-Gynäkologie
und Geburstshilfe.
Pelvic Organ Prolaps
Physiotherapie bei Senkungen im weiblichen Becken
Überblick und Update
© Helmut Wallner
Die Senkung der inneren Organe im kleinen
Becken ist weit verbreitet. Physiotherapie kann viel
zur Verbesserung für die Betroffenen beitragen.
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