inform_Nr5_Dezember2013 - page 10

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physio
austria
inform
Dezember 2013
Themenschwerpunkt
Becken
Wissen um mögliche Prävention und gezielte Muskelar-
beit, die ins tägliche Tanztraining inkludiert werden kann,
sollten so früh wie möglich Anwendung finden, um
Beckenbodenbeschwerden vorzubeugen und eine
uneingeschränkte Tanzkarriere zu ermöglichen.
Urinale Stressinkontinenz ist der Definition zufolge das
unfreiwillige Harnlassen unter plötzlichem Druckanstieg
im Becken wie im Falle von Husten, Niesen oder auch
Lachen. Die Prävalenz liegt in der Normalbevölkerung
zwischen 10 und 55% bei Frauen zwischen 15 und 64
Jahren. Vor allem »High-Impact«-Sportarten weisen eine
drastisch erhöhte Prävalenz auf. Es handelt sich dabei
um Leistungssportarten wie Trampolinspringen (80%
Prävalenz), diverse Tanz- und Gymnastikstile (40-56%),
sowie manche Ballsportarten (17-30%). Der Harnverlust
tritt bei annähernd allen Sportlerinnen während des
Trainings auf, bei 50% der Betroffenen auch während
Wettkämpfen oder Vorstellungen. Zwar zeigt sich die
Harninkontinenz häufiger während der sportlichen Aktivi-
tät, sie kann aber auch den Alltag beeinträchtigen.
Stressinkontinenz bei Sportlerinnen im Allgemeinen und
Tänzerinnen hier im Besonderen bedeutet emotionalen
und psychischen Stress. Sie beeinflusst nicht nur maß-
geblich die sportliche Leistung sondern auch das
körperliche Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl
der typischerweise sehr jungen Sportlerinnen.
Ursachen
Den Einfluss der Trainingsintensität zeigten Vitton et al.
(2011): Sportlerinnen, die mehr als acht Stunden trainie-
ren, zeigen eine signifikant höhere Prävalenz urinaler und
analer Inkontinenz als Sportlerinnen mit weniger als acht
Trainingsstunden pro Woche (UI: 33.1% vs. 18.3%,
p=0.001; AI: 14.8% vs. 4.9%, p=0.001). Anale Inkontinenz
äußerte sich in ihrer Studie vor allem als Flatulenz (84%).
Bestätigt wurde dies von Borin, Nunes und Guirro (2012).
Ihre Untersuchungen zur physiologischen Funktion des
Beckenbodens von gesunden Sportlerinnen zeigten
einen deutlichen Zusammenhang zwischen perinealem
Druck und der Trainingsintensität. Je höher die Trainings-
intensität, desto weniger stark konnte der Beckenboden
kontrahieren. Die Häufigkeit des unfreiwilligen Harnab-
ganges während sportlicher Belastung stieg ebenso wie
der nächtliche Harndrang und die Häufigkeit des Harn-
dranges. Sport ist folglich zwar gesundheitsfördernd,
im Hochleistungsbereich bringt er jedoch auch negative
Auswirkungen auf den Beckenboden im Sinne einer
Dysfunktion mit sich. Studien von Kruger, Dietz, Murphy
und Heap zeigten 2005 und 2007 mittels MRT und Ultra-
schall bei Sportlerinnen eine stärkere Absenkung des
Blasenhalses beim Valsalva Manöver, einen messbar
größeren Hiatus-Bereich und eine Hyperthrophie des
M. levator ani.
Der Beckenboden im Tanz –
ein zuverlässiger Partner?
Professionelle Tänzerinnen vereinen Kunst und
Hochleistungssport in ihrem Beruf. Mit einem
hohen täglichen Trainingspensum und einem
großen Repertoire an Sprüngen zählt der Tanz
zu den »High-Impact«-Sportarten und stellt
eine hohe Belastung für den Beckenboden dar.
Judith Elisa Kaufmann
Direktorin Body, Art & Expression,
Schule für darstellende Kunst & Akade-
mie für Tanzpädagogik und Tanzmedizin,
Leitung tamed Österreich. Ehemalige
klassische Tänzerin und Schauspielerin;
Regisseurin, Choreographin, Ballett-
meisterin, Autorin und Dozentin für
Tanzmedizin in D, GB, USA, Israel,
Palästina und Ö.
Anita Kiselka, MSc
setzt sich als Physiotherapeutin aktiv
für die Gesundheitsförderung von
TänzerInnen ein, seit 2012 auch in ihrer
Funktion als Vorstand von tamed e. V.
und seit 2013 als Junior Researcher
an der FH St. Pölten.
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