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September 2016

17

VISUELLER AUFTRITT

Susanne Dechant, BA

Mal ehrlich …

Auch schlechte Grafik kostet Geld

Vor ein paar Wochen blieb die Stoßstange meines Autos

an der Strebe eines Garagenlifts hängen – dem Lift geht

es gut, meine Wagenfront hingegen lächelt seitdem schief

und zahnlos. Ich machte mich auf die Suche nach einer

Werkstatt, die noch gewillt war, etwas zu »richten« und

nicht nur Neuteile umzuschrauben. Letztendlich konnte

mir eine kleine Firma im Umkreis von Wien helfen, aller-

dings: Ich hätte sie beinahe übersehen, denn nach einer

Neuübernahme waren weder Name noch Webseite noch

Adresse zu finden. Zufällig lobte sie jemand in einem

Online-Forum und ich fuhr – auf gut Glück – in den

genannten Ort.

Als ich später mein (wieder glücklich lächelndes) Fahrzeug

abholte, entspann sich ein Gespräch mit Vater und Sohn

Mechaniker; zufälligerweise erwähnte ich meinen Beruf

(Grafikerin) – und ein erfreuter Blickwechsel verriet es mir

schon: Man würde so dringend ein Schild benötigen sowie

Visiten- und nicht Schlabberkärtchen. Der Freund des

Sohnes, der sich angeboten hatte, das Logo zu basteln,

rufe nie zurück … In kürzester Zeit schickten wir uns ent-

gegenkommende Preisschätzungen und schnell wurde

klar: Professionalität (fürs Auto wie fürs Logo) arbeitet

kostensparender und rechnet sich längerfristig.

Sei das, was du sein willst!

Mir lag dieser neue Auftrag besonders am Herzen, da er

mir Zugang zu einer völlig neuen Branche eröffnete. Denn,

wie Sie, werter Leser, liebe Leserin, vielleicht nicht wissen,

bin ich auch die Gestalterin dieses Magazins und somit

kreativ für ein ganz anderes, weitaus sensibleres Feld,

nämlich das der Physiotherapie, tätig. Auch gehört unter

anderem ein – man könnte fast sagen – trockenes Finanz-

und Wirtschaftsunternehmen zu meinen AuftraggeberIn-

nen sowie eine moderne Kultur- und Kunstorganisation,

ein klassisches Jugendorchester und eine traditionelle

Gartenbaumschule.

Wie kann so verschiedenen Anforderungen unter dem

Dach eines Studios entsprochen und für die jeweilige

Klientel das Passende entwickelt werden? Indem ich

neugierig bin, indem ich zuhöre. In einem funktionieren-

den Gestaltungsprozess übernehme ich den Part der noch

nicht anwesenden, zukünftigen Kundschaft, genau jener

Person, die dann die Visitenkarte entgegennimmt, die

Webseite besucht, den Flyer einsteckt oder den Eingang

zur Praxis sucht. Ich bin eine Art Sparringspartnerin,

die sich immer mit Zwischenfragen meldet, wenn etwas

unklar ist. So entsteht gemeinsam ein Briefing, in dem

sich nach und nach auflistet, was im konkreten Fall gestal-

terisch, kommunikativ und fürs Marketing benötigt wird.

Nicht jede/R EinzelunternehmerIn, nicht jede kleine Firma

braucht ein Piktogramm, eine gesamte Corporate Identity

oder eine neue Webseite. Aber doch gilt, und das ist die

essenzielle Idee dahinter: Jedes Unternehmen sollte sich

ernst genug nehmen, mit einer einheitlichen Erscheinung

öffentlich aufzutreten.

Gestaltungsmittel sind wie ein Startinstrument, das ein

Unternehmen zum Laufen bringt und es im richtigen

Kontext repräsentiert. Visuelle Signale helfen, sich sicht-

bar, erkennbar und erinnerbar zu machen. Es ist fast

riskant, möchte ich sagen, sich nur auf zufällige Mund-

propaganda zu verlassen, und beinahe destruktiv, sich

auf halbprofessionelle Freundschaften zu stützen: Selbst-

gebasteltes kann einfach nicht dem eigenen, gebotenen

Leistungsstandard entsprechen.

Aber: Wie findet man die guten Leute und erliegt nicht

einer Versprechung, die nur heiße Luft bedeutet?

Wie soll man Qualität in kreativen Lösungen erkennen?

Was zeichnet gutes Kommunikationsdesign aus und was, bitte,

ist denn das überhaupt? Wozu braucht jedes kleine Unternehmen

ein Logo, mehrere Online-Präsenzen und eine individuelle Farbwelt?

Kann man sich das nicht inzwischen alles selbst machen?

© Björn Wylezich – Fotolia.com

SCHNELL

GUT

BILLIG

Immer nur zwei Anforderungen

lassen sich gemeinsam

umsetzen …

»DAS GRÖSSTE MISSVERSTÄNDNIS

IN KREATIVEN ENTWICKLUNGEN

BEZIEHT SICH AUF DAS ›GEFALLEN‹.

DENN WEDER DER GESCHMACK DER

AUFTRAGGEBERiNNEN NOCH DER

›STIL‹ DER GESTALTENDEN SIND

GEFRAGT!«