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Die Komplexität der Aufgaben wird dann
nach und nach gesteigert. In einigen Studien
wurde jedoch genau die Aufgabenkombina-
tion trainiert, die auch als Messparameter
herangezogen wurde, weshalb unklar ist,
ob eine Übertragung auf andere (z.B.
Alltags-)Situationen stattfinden kann.
Die Frage, ob es sinnvoll ist, im Rahmen der
Therapie Aufgabenstellungen zu wählen, die
solche Anforderungen beinhalten, kann noch
nicht letztgültig beantwortet werden. Nicht
zuletzt, weil sich das motorische Lernen von
Parkinsonerkrankten in einigen Punkten vom
Lernverhalten Gesunder unterscheidet.
Der Erwerb oder Wiedererwerb motorischer
Fähigkeiten ist bei Parkinsonerkrankten zwar
möglich, verläuft aber deutlich langsamer als
bei gesunden Versuchspersonen und erfor-
dert eine höhere Aufmerksamkeitsleistung.
Parkinsonbetroffene benötigen daher höhere
Wiederholungszahlen als Gesunde, um ein
vergleichbares Ergebnis zu erreichen. Infolge
eines grundlegenden Problems der internen
Bewegungssteuerung, ist bei Parkinson-
patientInnen die Automatisierung von
Bewegungsabläufen sowie die Ausführung
repetitiver Bewegungen gestört, sodass
angepasste Lernstrategien zur Anwendung
kommen müssen.
So empfiehlt es sich den Betroffenen zu-
nächst durch Vorzeigen und Erklärungen ein
mentales Bild der geplanten Bewegungsaus-
führung zu vermitteln, das diese zunächst in
Gedanken mehrfach durchgehen. Zunächst
wird also ein vorgegebener Bewegungsplan
übernommen, der/ die Behandelnde kann
durch Nachfragen überprüfen wie detailliert
die PatientInnen die Bewegung antizipieren
können. Z.B.: Womit beginnen Sie die
Bewegung? Was kommt dann als nächstes?
Worauf werden Sie noch achten? Komplexe
Aktivitäten sollten in kleinere Einzelelemente
zerlegt werden, um sie zunächst getrennt
zu trainieren. Die Einzelbewegungen werden
dann in einer fixen Reihenfolge, nach und
nach wieder zu einer Gesamtbewegung ver-
bunden. Durch diesen Übungsansatz werden
hohe Wiederholungsanzahlen erzielt. Die Be-
troffenen lernen die Gesamtbewegung unter
bewusster Bewegungskontrolle durchzufüh-
ren und nicht von der (fehlenden) Automati-
sierung des Bewegungsablaufes abhängig zu
sein. Wichtig ist es dabei den PatientInnen
Strategien mitzugeben, wie sie sich die ein-
zelnen Abläufe und ihre Reihenfolge merken
und diese in der jeweiligen Alltagssituation
bewusst erinnern können.
Gut erforscht ist der gezielte Einsatz visuel-
ler, akustischer oder sensibler Stimuli (so-
genannter »Cues«) sowohl für double- als
auch für single Tasks. Ein Vorteil dieser Tech-
nik ist, dass sie – im Gegensatz zu komple-
xen Aufmerksamkeitsstrategien - auch bei
PatientInnen mit kognitiven Einschränkungen
anwendbar ist. Rochester et al. (2010) konn-
ten beobachten, dass sich die Effekte eines
9x durchgeführten häuslichen Einzeltrainings
mit rhythmischen akustischen Cues, auf das
Gehen ohne akustische Stimuli übertragen
ließen und die Verbesserung der Kadenz und
Schrittlänge auch 6 Wochen nach Beendi-
gung des Trainings anhielten. Die AutorInnen
kommen zu dem Schluss, dass die ver-
mehrte Automatisierung der Grundanforde-
rung (z.B. Gehen), es erleichtert zusätzliche
Aufgaben auszuführen.
Einzelne (nicht rhythmische) Cues, sind
dagegen für viele Betroffene besonders hilf-
reich, um das krankheitstypische Freezing
Phänomen zu überwinden. Unter Freezing
versteht man ein plötzliches Erstarren, das
besonders bei Bewegungsübergängen,
Richtungswechseln und Durchqueren von
Engstellen auftritt. Freezing tritt bei mehr als
50% der Parkinsonerkrankten auf und ist
medikamentös kaum zu beeinflussen. Einige
PatientInnen entwickeln selbst Cueingstrate-
gien, z.B. die Verwendung eines Laserpoin-
ters, um den Lichtpunkt als Markierung für
die Länge des nächsten Schrittes zu verwen-
den oder die Anwendung eines Startkom-
mandos, wie »1-2-3, los!«. Es bleibt jedoch
noch unklar, welche PatientInnen von
welchen »Cues« profitieren.
Um die zahlreichen Forschungsergebnisse
der letzten Jahre auf dem Gebiet der physio-
therapeutischen Behandlung von Morbus
Parkinson zu evaluieren und in einer für
Praktiker übersichtlichen Form darzustellen,
beteiligt sich Physio Austria seit 2010 an
einem richtungsweisenden Projekt: der
Erstellung der 1st European Guideline for
Physiotherapy in Parkinson’s disease.
ExpertInnen aus 18 Mitgliedsländern des
ER-WCPT arbeiten unter Beteiligung von
PatientenvertreterInnen gemeinsam daran,
eine internationalen Standards entspre-
chende Leitlinie zu erstellen. Die Leitlinie
enthält evidenzgestützte Empfehlungen zu
Fragen wie: welche Assessments sollen im
Rahmen der Befundaufnahme zur Anwen-
dung kommen? In welcher Intensität soll
die Therapie stattfinden? Welche Behand-
lungsstrategien sind geeignet? Was ist bei
erhöhter Sturzgefahr zu tun? Mit einem
Erscheinen ist im Herbst 2013 zu rechnen.
Themenschwerpunkt
Neurorehabilitation
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physio
austria
inform
September 2013
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