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April 2012
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Beim letzten Sportphysiotherapiekongress in
Salzburg im November 2011 referierte Univ.
Prof. Dr. Günter Bernatzky (NAWI Universität
Salzburg, Leiter des Instituts für Schmerzfor-
schung) über die Manifestation von Schmerz
in den entsprechenden Gehirnarealen und
die Wichtigkeit, mit adäquaten Bewegungen
die PatientInnen vom Schmerzgeschehen
»abzulenken«. Der Physiotherapie komme
da eine große Bedeutung zu.
Wenn man die Sportphysiotherapie auf die
vier (von elf) wesentlichen Inhalte und
Kernkompetenzen (IFSPT Competencies &
Standards, 2005) wie
°
Prävention
°
akute Intervention (Erste Hilfe)
°
Rehabilitation
°
Leistungsverbesserung
reduziert, ist es interessant, dass das Thema
Schmerz sprichwörtlich in diesen vier Kern-
kompetenzen keine Erwähnung findet. Und
das aus gutem Grund: Schmerz wird als Zei-
chen des Körpers nach einer akuten Verlet-
zung angesehen, oder aber als Hinweis auf
eine nicht korrekt ausgeführte Bewegung.
Im ersten Fall ist bei der Rehabilitation (Defi-
nition: »…bezieht sich auf die Zeit zwischen
einer durch körperliche Betätigung oder
Sport verursachten Verletzung und der
sicheren Wiederaufnahme von Funktion,
Teilnahme und optimaler Leistung in körper-
licher Betätigung, Körperübungen und
Sport.«) in der Sensomotorikschulung und
im anschließenden Belastungstraining auf
die möglichst volle Wiederherstellung und
Richtigstellung der entsprechenden Bewe-
gungen (Sport und Freizeit) zu achten, um
neuerliche Verletzungen und damit Schmer-
zen zu vermeiden. Im zweiten Fall liegt es an
der Physiotherapie, die Bewegung oder das
Bewegungsverhalten so weit zu verändern,
dass die belasteten Strukturen nicht mehr
schmerzen. Die Vorgangsweise der »klassi-
schen« Physiotherapie ist jedoch teilweise
eine andere: Im Vordergrund steht oft primär
die Schmerzbekämpfung und erst später die
Änderung des Bewegungsverhaltens. Passive
Methoden (Infiltration, Schmerzmedikation,
manualtherapeutische Methoden, Elektro-
therapie etc.) werden in der Sportphysiothe-
rapie nicht als »Problemlöser« angesehen,
sondern dienen als Mittel zum Zweck – nur
die Bewegung löst das Problem! Mit dem
Nebeneffekt, dass der/die PatientIn von
»einem/ihrem mitunter chronischen
Schmerz abgelenkt wird.
SPORTPHYSIOTHERAPIE
Karl Lochner, PT
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Themenschwerpunkt
Schmerz
Nach einer Satzungsänderung der IFSPT
(Internationale Sportphysiotherapiegesell-
schaft) im vergangenen Jahr in Amsterdam
soll die Sportphysiotherapie Rehabilitation
(aktive Rehabilitation) nicht nur dem/der
SportlerIn zugute kommen lassen, sondern
auch jedem/jeder PatientIn mit Beschwer-
den im Bewegungsapparat. Schmerz wird bei
der Rehabilitation nicht als Hinderungsgrund
für Bewegung angesehen, sondern, wie be-
reits oben erwähnt, als Ausdruck einer nicht
korrekten Bewegung. Dementsprechend
wird der Schmerz bei der Anamnese nicht in
den Vordergrund gestellt sondern der/die
PatientIn möglichst rasch, ohne ein Zuviel
an passiver Behandlung, in die Bewegung
»gezwungen«. Eine Schmerzanamnese über
das notwendige Maß hinaus soll nicht statt-
finden. Die Eingrenzung der Anamnese auf
Wann? Wie? Wo? Wie lange? etc. erscheint
ausreichend.
Der/die PatientIn wird gezwungen, sich mit
seinem Körper und einer Bewegung ausei-
nanderzusetzen, und nicht mit dem
Schmerz. Die Übungen sollen natürlich so
gestaltet werden, dass die schmerzhaften
Strukturen schmerzfrei bleiben. Dabei haben
sich einige Grundbewegungen (= Grund-
übungen) herauskristallisiert, die die alltäg-
lichen Bewegungen widerspiegeln:
°
Squat/Kniebeuge
°
Step up/Stufensteigen
°
Squatlunges/Ausfallschritt
°
Calfe raises/Fersenheben
Die Belastung durch Training dieser vier All-
tagsbewegungen soll dazu dienen, Schmerz,
der sich im Gehirn manifestiert hat, im Alltag
vergessen zu lassen. Wenn diese Bewegun-
gen nicht beherrscht werden, dann geht es
darum, Bewegungsabläufe (methodische
Reihen) zu suchen, die keinen Schmerz
verursachen, und die in diese vier Zielbe-
wegungen münden – die positive, schmerz-
freie Bewegungserfahrung soll die negative
Erfahrung überlagern. Diese Grundübungen
haben den Vorteil, dass damit auch ein ent-
sprechend dosiertes Krafttraining durchge-
führt werden kann, der damit produzierte
Muskelkater lenkt dann zusätzlich vom ur-
sächlichen Geschehen ab.
Der Schmerz als
Mittel zum Zweck
Ist Schmerzbehandlung ohne ausführliche
Schmerzanamnese möglich und sinnvoll? Ja,
wenn man die Bewegung in den Vordergrund
stellt. Mithilfe von vier alltäglichen Bewegun-
gen soll der Schmerz vergessen werden.
Karl Lochner
ist seit 2002 selbständig, seit 2007
Leiter der Physio Austria Fachgruppe
Sportphysiotherapie. Er ist Vertreter
der Fachgruppe in der IFSPT seit 2004
und seit 2007 Obmannstellvertreter
des OÖ Freiberuflichenverbands. Die
Schwerpunkte seiner freiberuflichen
Arbeit sind Rehabilitation im Bereich
der Traumatologie, Orthopädie und
Sportphysiotherapie.
Fotos: Karl Lochner
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